Geheuchelte Aufregung
Gegenwärtig sind drei von 14 Verfassungsrichterstellen neu zu besetzen. Einer der Posten wurde soeben von der Bundesregierung an den früheren Justizminister Brandstetter vergeben, über zwei weitere werden noch der Nationalrat und der Bundesrat entscheiden. Es wird allerdings kolportiert, dass die Abgeordneten zwei FPÖ-nahe Personen wählen werden, den Linzer Universitätsprofessor Hauer und den Rechtsanwalt Rami.
Die Aufregung ist groß. Brandstetters Ernennung wird zum Beispiel als Verstoß gegen die Gewaltenteilung kritisiert. Die Aufregung ist aber auch geheuchelt. Dass beispielsweise die gegenwärtige österreichische Richterin am EuGH, Maria Berger, früher Justizministerin und für die SPÖ auch Abgeordnete zum Europäischen Parlament war, hat noch nie jemand als Verletzung der Gewaltenteilung bezeichnet.
Richtig ist allerdings, dass man sich das aufwendige Hearing vor den beiden Parlamentskammern, bei dem insgesamt 40 Bewerberinnen und Bewerber ihr Bestes geben, sparen könnte, wenn die Entscheidung der Mehrheit offenbar schon feststeht. Freilich wurde auch dies in der Vergangenheit kaum anders gehandhabt, der engste Kandidatenkreis stand sogar schon vor Beginn der Bewerbungsfrist fest. Den Regierungsparteien kann man höchstens vorwerfen, dass ihr Stil kein neuer ist, sondern die Fortsetzung der bisherigen Tradition.
Österreich steht nicht allein da. Einer der gegenwärtigen deutschen Verfassungsrichter war zuvor Ministerpräsident des Saarlandes, ein anderer Innenminister in Thüringen. Die Schweiz ist noch viel konsequenter: Dort haben selbst die kleinen Parteien wie die Grünen einen Anspruch auf „ihren“ Richter im Höchstgericht. Von den USA, wo der jeweilige Präsident selbstverständlich danach trachtet, die Mehrheitsverhältnisse im Supreme Court zugunsten seiner Partei zu verändern, ganz zu schweigen.
Vor einigen Jahrzehnten gab es in Österreich immerhin noch ein kleines Korrektiv: Dem Bundespräsidenten musste vom Parlament ein Dreiervorschlag vorgelegt werden. Er konnte theoretisch unter den drei Kandidaten frei entscheiden. Als der damalige Bundespräsident Klestil 1993 von diesem Ermessen Gebrauch machte und statt der erstgereihten SPÖ-nahen Kandidatin die drittgereihte, ebenfalls SPÖ-nahe Kandidatin ernannte, war die Empörung der Parteien über diese „Anmaßung“ des Staatsoberhauptes so groß, dass sein Auswahlrecht auf der Stelle abgeschafft wurde.
„Brandstetters Ernennung wird zum Beispiel als Verstoß gegen die Gewaltenteilung kritisiert.“
Peter Bussjäger
peter.bussjaeger@vn.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor in Innsbruck.
Kommentar