Nur zehn Kinder
Wer sich diese Woche intensiv mit den Irrungen und Wirrungen rund um die stark gefährdete Kinderonkologiestation des Dornbirner Stadtspitals auseinandergesetzt hat, kommt an einer Zahl nicht vorbei. In zahllosen Gesprächen höre ich sie: zehn. Dazu eine traurige Interpretation: des Übels Wurzel sei, dass in Vorarlberg „nur zehn Kinder pro Jahr“ neu an Krebs erkranken. Zu wenig sei das für eine ordentliche Kinderkrebsstation. In der Gesundheitsindustrie heißt das: Fallzahl zu gering. Licht aus.
Statt nach Dornbirn zur Chemo fortan nach Innsbruck, meist einmal die Woche. Höllische Autofahrten – Eltern und Kind im Ausnahmezustand. Jede und jeder dieser zehn tapferen kleinen Helden, die mit abtötenden Krebsmedikamenten behandelt werden müssen, hat es verdient, dass Mama und Papa Beistand leisten können, indem die Behandlung möglichst nah zum vertrauten Zuhause passiert.
Die Realität für Herrn und Frau Vorarlberger sieht im Fall einer Krebserkrankung halt eben nicht so aus, dass man alles stehen und liegen lassen und sein Leben aufgeben kann. So hart das klingt: Das Leben geht weiter. Muss weitergehen. Das monatliche Familieneinkommen will erwirtschaftet werden. Mögliche Geschwister des erkrankten Kindes benötigen gerade jetzt besondere Aufmerksamkeit. Da können Eltern unnötige Zwei-Stunden-Fahrten mit stark angeschlagenen Kindern über den Arlberg genauso wenig brauchen, wie eben den Tumor selbst.
Das Bild, das nun viele von uns im Kopf haben, ist unerträglich: Das Dornbirner Stadtspital verfügt über einen modernen Hubschrauberlandeplatz, aber keine Kinderonkologie mehr. Dabei muss man wissen: Dornbirn ist das einzige Krankenhaus Vorarlbergs, das einer Stadt gehört. Hier hat das Land keinen direkten Zugriff. Somit hat man aber auch vonseiten der Landesspitäler nichts zur Nachfolge des Onkologieprimars Dr. Bernd Ausserer beigetragen. Auch wenn das Stadtspital mit über 30 Millionen Euro Verlust nicht wirtschaftlich zu betreiben ist: Die Ärzte leisten hervorragende Arbeit. Nicht umsonst ist die Geburtenstation so populär, nicht umsonst waren kleine Krebspatienten aus ganz Vorarlberg froh, in der Kinderonkologie vor Ort behandelt werden zu können. Auch in der aktuellen Diskussion beschleicht Beobachter der Verdacht, dass doch nicht alles so gut zwischen Stadt Dornbirn und Land Vorarlberg abgestimmt ist, wie man hoffen würde.
Dass die Situation so ist, wie sie ist, liegt an vielen, aber nicht am bisherigen Primararzt. Er hat Jahre über seine Pensionierung in Teilzeit gearbeitet, war ein Ärzteleben lang tatsächlich rund um die Uhr im Einsatz. Er hat aktiv an seiner Nachfolgeregelung gearbeitet, doch die Ärzte sind abgesprungen. Harte neun Jahre dauert die Ausbildung zum Kinderonkologen. Deshalb ist es jetzt schwierig, schnell zu reagieren.
Ohne kinderonkologische Expertise in Dornbirn ist es für die Uniklinik Innsbruck nicht tragbar, gewisse Einheiten der Chemotherapie auch in Dornbirn verabreichen zu lassen. Es muss also weitere Versuche geben, mindestens einen Kinderonkologen nach Dornbirn zu bekommen.
Der Landeshauptmann sagt, dass Geld in diesem Fall keine Rolle spiele. Die Krebshilfe steht bereit, die Belastungen für Eltern und Kinder zu minimieren. Auch wir werden die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser über die VN-Sozialaktion „Ma hilft“ einsetzen, wo wir können.
Nicht nur für die Eltern ist es unverständlich, dass das, was bisher ging, künftig nicht mehr gehen sollte.
„Das Dornbirner Stadtspital verfügt nun über einen modernen Hubschrauberlandeplatz, aber keine Kinderonkologie mehr.“
Gerold Riedmann
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Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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