Die Mystik der Gemeindevertretung

Über die Frage, wie man Bürger dazu bewegen kann, in der Gemeinde politisch aktiv zu werden.
Schwarzach Wer in Österreich über die stärkere politische Einbindung der Bürger spricht, meint damit meistens Abstimmungen und Wahlen. Der Ruf nach Volksabstimmungen ist populär, schließlich soll der Bevölkerung mehr Mitsprache erlaubt sein. Doch Demokratie ist mehr als regelmäßiges Setzen von Kreuzchen. Auch Bürgerbeteiligung ist in aller Munde. Doch sind Bürgerbeteiligungsprozesse der richtige Weg, um Menschen am politischen Leben beteiligen zu können? Gerda Schnetzer-Sutterlüty vom Verein “die Vorarlbergerinnen” ist Expertin für Regional- und Standortentwicklung, Wolfgang Weber ist Historiker und Experte für Gemeindepolitik. Sie glauben: Die Gemeinden sind der Schlüssel.
Motivationsfrage
Bürgerbeteiligung allein sei zwar schön, erreicht aber nicht alle Menschen, wie Schnetzer-Sutterlüty ausführt: “In Hard fand eine öffentliche Veranstaltung zum Raumentwicklungskonzept statt, da ist eine Person gekommen. Dann hatten wir mal einen zweitägigen Workshop zu Dorfsälen, da kamen 180 Menschen. Wir haben uns gefreut, allerdings war das auch nur ein Prozent der Bevölkerung. “Die 180 engagierten Bürger hätten allerdings mehr gewollt als nur diesen Workshop. Da habe ich sie dann gefragt, wieso sie denn nicht in die Gemeindevertretung wollen?”, fährt Schnetzer-Sutterlüty fort. Interesse bestand aber nicht. Genau hier liege das Problem: Menschen hätten Angst, sich als gewählte Vertreter zu engagieren.
Dies habe unter anderem mit dem Wahlrecht zu tun. Nach 1945 habe es durchaus Sinn ergeben, die Parteiendemokratie auch in die Gemeinden zu lassen, ist Weber überzeugt. “Aber seit 20 Jahren ist das vorbei. Nun könnte man eigentlich wieder auf Engagement setzen und erst in zweiter Linie auf Fraktionierung.” Derzeit sei es so, dass sich in der Gemeindevertretung einige Mandatare über die Parteigrenzen hinweg einig wären, aber bei bestimmten Dingen aus Klubzwang nicht mitstimmen können. “Niemand zwingt die Menschen zum Klubzwang. Dennoch tun sie es.” Die aktuelle Debatte zur Aufhebung des Rauchverbots sei ein Paradebeispiel dafür, wie Mandatare umfallen. “Wenn das freie Mandat funktionieren würde, könnte man auf der Gemeindeebene mit dem aktuellen Modell schon weitermachen.”
Persönlichkeitswahl
Schnetzer-Sutterlüty sieht einen Lösungsansatz im Persönlichkeitswahlrecht. “Ich glaube, es wäre wichtig, dass wirklich Personen gewählt werden könnten. Das würde schon viel Angst nehmen.” In Vorarlberg wird das in ganz wenigen Gemeinden praktiziert. Viele Gemeinden arbeiten mit Einheitslisten. “Ist das nicht eigentlich eine Umgehung der Demokratie, wenn irgendein Zirkel eine Liste bestimmen kann?”, fragt sie sich. Weber entgegnet: “Ich hätte ja trotzdem die Möglichkeit, eine zweite und dritte Liste zu erstellen. So offen und demokratisch ist Österreich schon organisiert.” Schnetzer-Sutterlüty stimmt zu, ergänzt aber: “Wir wollen ja die Hemmnisse niedriger machen, nicht höher.”
Wie also die Hemmnisse abbauen? “Die Personenwahl allein ist es sicher nicht”, ist Schnetzer-Sutterlüty überzeugt. Es gehe um das Image der Gemeindevertretung. “Sie muss entmystifiziert werden. Man muss sich einfach trauen. Wir müssen die Bürger ermutigen.” Außerdem bräuchte die Gemeinde mehr Kompetenzen, hält Weber fest. “Die Hemmnisse baue ich ab, wenn ich den Menschen Verantwortung gebe.” Derzeit habe eine Gemeindevertretung wenig zu sagen. Schnetzer-Sutterlüty sitzt in Sulz selbst im Gremium. Sie berichtet: “Die meisten Entscheidungen werden vom Land delegiert, was zu Scheinabstimmungen in der Gemeindevertretung führt. Kommt einmal eine Frage, die man anpacken kann, wird sie an einen Bürgerbeteiligungsprozess weitergegeben.” Für Weber besteht darin ein weiterer Konstruktionsfehler: “Die Gemeindevertretung braucht zumindest exekutive und legislative Macht.” Dies sei auch eine Frage des Willens. Dafür müsste man aber die Verwaltungsstruktur radikal ändern. “Erfahrungen zeigen jedoch, dass Verwaltungsreformen im Konvent diskutiert, aber am Ende nicht angegangen werden”, sagt Weber.
„Niemand zwingt die Menschen zum Klubzwang. Dennoch tun sie es.“

„Vorarlbergerinnen“-Veranstaltung: „Gemeindevertretung – Bürgerbeteiligung auf Reserve?“ Mittwoch, Kornmesser Bregenz; Donnerstag, Freihof Sulz, jeweils 19 Uhr.