Die letzte Fahrt des letzten Kaisers

Es ist sicher kein schönes Gefühl, wenn man mit 31 Jahren vor den Ruinen eines über 600 Jahre alten Familienunternehmens steht. So sah die Bilanz von Ex-Kaiser Karl aus, als er vor 100 Jahren Österreich verließ. Am 24. März 1919 rollte sein Hofzug, vom Arlberg kommend und durch britische Soldaten beschützt, in den Bahnhof Feldkirch ein. Auf Schloss Eckartsau in Niederösterreich, wo sich die Familie bis dahin aufgehalten hatte, war die Situation brenzlig geworden. Immer wieder kam es zu Demonstrationen der Bevölkerung, die den entthronten Monarchen für die Kriegsfolgen verantwortlich machte.
In der Schweiz Aufenthalt gewährt
Da Karl sich beharrlich weigerte, formal abzudanken – im November 1918 hatte er nur auf die Regierungsgeschäfte verzichtet – bereitete die Staatsregierung ein Gesetz vor, das ihn für abgedankt erklären sollte. Die Schweiz gewährte Karl und seiner Familie daraufhin den Aufenthalt. „Wahrhaftig, ein tragisches Schicksal, das vielen an das Herz greift!“ lamentierte das konservative „Vorarlberger Volksblatt“ über die letzte Reise der Habsburger. Das sozialdemokratische „Tagblatt“ wollte hingegen „die Fäuste ballen, ob solchem Gewinsel und Gejammer“. „Hunderttausende unserer besten Söhne liegen in fremder Erde … und das alles wegen dieser Leute von Gottesgnaden“. Karl zog in Feldkirch seine Uniform aus, wechselte in Zivilkleidung und nutzte die Gelegenheit für eine letzte Replik an die Republik. Im „Feldkircher Manifest“ wandte er sich an Papst Benedikt XV. und den spanischen König Alfons XIII., der eigentliche Adressat war aber die Regierung in Wien. Die Wahlen für das neue Parlament, die Konstituierende Nationalversammlung, hätten „im Zeichen des Terrors“ und „im Banne einer planmäßigen Verhetzung“ stattgefunden. Dieses sei eine „willkürlich zusammengesetzte Volksvertretung eines Staates ohne Grenzen“. Was auch immer nun beschlossen werde, erkläre er „für Mich und Mein Haus null und nichtig“. Karl, der nie einen ausgeprägten Sinn für politische Realitäten entwickelt hatte, glaubte seine Völker weiter hinter sich. Am 31. März wandte er sich noch von St. Gallen aus an die Alliierten und versuchte sie zu einer militärischen Intervention in Österreich zu bewegen, vergebens. Drei Tage später beschloss die Nationalversammlung die Landesverweisung der Familie Habsburg-Lothringen. Nach einem missglückten Restitutionsversuch in Ungarn wurde der Ex-Kaiser 1921 wieder über Feldkirch in die Schweiz gebracht. Im Bahnhof wurde er von einer Puppe begrüßt, die Uniform trug und an einem Galgen hing. Zwei Eisenbahner spielten „Muss i denn zum Städtele hinaus.“ Karl starb ein Jahr später im Exil auf Madeira, er sollte Österreich nie wiedersehen.
Moritz Moser stammt aus Feldkirch, lebt und arbeitet als Journalist in Wien. Twitter: @moser_at