Äbtissin Hildegard Brem schrieb ein Buch über Spätberufene

Es gibt Menschen, die entscheiden sich in fortgeschrittenem Alter für den geistlichen Weg. Ein Buch befasst sich mit diesen Spätberufenen.
Hohenweiler. Maria Hildegard Brem, die Äbtissin des Klosters Mariastern-Gwiggen, hat sich in ihrem Buch „Zweite Liebe?“ eines Phänomens unserer Zeit angenommen: geistlicher Lebenswenden im fortgeschrittenen Alter. „Es ist nämlich typisch für unsere Zeit, dass Männer und Frauen mittleren Alters an unsere Klosterpforten klopfen.“ Diese Menschen hätten meist eine ausgezeichnete Ausbildung und seien stünden mitten im Leben. „Dann fühlten sie sich zu einem Leben berufen, das mehr als das bisherige auf Gott hin ausgerichtet sein sollte.“
Mutter Hildegard befragte zehn Spätberufene, erkundigte sich über ihren Werdegang und wollte wissen, ob die geistliche Berufung in der Lebensmitte und noch später ihre erste oder zweite Liebe war. Herausgekommen ist eine spannende und lesenswerte Lektüre.
Vom Computer in die Seelsorge
Sie beginnt mit einem Kaplan, der aus der Welt der Technik kam. Er war als Kind und Jugendlicher ein Eisenbahnfreak. „Er wusste die Fahrpläne auswendig und ging an jedem freien Tag zum Bahnhof, um sich die Züge anzuschauen“, erzählt die Äbtissin lächelnd. Dieser Bub studierte später Telematik, eine Kombination von Informatik, Kommunikationstechnologie und Elektronik. In einer Zeit, als es noch nicht üblich war, dass jeder einen Laptop besitzt, war er bereits ein Computerfreak. Nach dem Studium arbeitete er erfolgreich als selbstständiger Webdesigner. „Aber dann spürte er, dass ihm etwas fehlte. In ihm wuchs der Wunsch, einen geistlichen Beruf zu ergreifen.“ Mit über 30 begann der ehemalige und langjährige Ministrant Theologie zu studieren. „Es war ihm ernst. Um sein Leben und Studium finanzieren zu können, arbeitete er in der Nacht als Webdesigner. Tagsüber besuchte er Vorlesungen und Seminare.“
Eingang ins Buch der Äbtissin fand auch ein Pfarrer, der zwar als Kind Priester werden wollte und gerne in die leere Kirche ging, um dort zu verweilen, als Jugendlicher aber einen ganz anderen Weg einschlug. „Er machte eine kaufmännische Lehre und stieg im Lebensmittelhandel schnell auf. Mit 20 war er bereits Filialleiter eines großen Supermarkts und im Aufsichtsrat der Firma.“ Weil er mit dem Sekretär des Bischofs bekannt war, sprang er für diesen hin und wieder ein und machte Chauffeurdienste. „Eine dieser Fahrten sollte schicksalhaft werden. Er fuhr den Bischof zu einer Wallfahrt nach Niederösterreich. Nach dem Gottesdienst in der Wallfahrtskirche stand für den 33-Jährigen fest, dass er Priester werden und seinen Beruf aufgeben würde.“
“Aus dem Küchenchef und Weltenbummler wurde ein schweigender Mönch.”
Mutter Hildegard
Noch ungewöhnlicher ist der Werdegang eines Novizenmeisters eines Klosters in Burgund, der mit 42 Jahren in einen Orden eintrat. Bis dahin war sein Arbeitsplatz in der Küche gewesen. Er arbeitete als Koch in Restaurants und Nachtlokalen. Nachdem seine Ehe gescheitert war, ging er auf Reisen. Er durchquerte mit dem Rad die Sahara, mit der transsibirischen Eisenbahn Sibirien und landete schließlich in China. Zurück in Frankreich eröffnete er mit seinem Bruder ein Restaurant. Der Stress und die Hektik in der Küche ließen ihn zum Ausgleich immer öfter die Stille suchen. „Er kehrte regelmäßig in eine Klosterkirche ein, ließ die Stille auf sich wirken und begann, sich zu sammeln und zu beten.“ Nach einer Führung durchs Kloster wusste er, dass er ein Leben wie die Mönche führen wollte. „So wurde aus dem Küchenchef und Weltenbummler ein schweigender Mönch.“
Von einer Frau umgarnt?
Nach einigen weiteren Lebens- bzw. Berufungsgeschichten berichtet die Äbtissin zum Schluss des Buches über eine, die eine andere Wendung nahm und aus dem Kloster hinausführte. Ein junger Mann war ins Kloster eingetreten und verbrachte dort 20 glückliche Jahre. Dann, eines Tages, begann plötzlich sein Körper verrückt zu spielen. Weil es ihm über Monate gesundheitlich schlecht ging, rang sich der Geistliche schließlich zum Austritt durch. „An dem Gerücht, dass eine Freundin aus der Studienzeit ihn umgarnt und er deshalb das Kloster Hals über Kopf verlassen hat, war aber nichts dran.“ Der Anfang draußen war für den Mönch sehr schwer, weil er zunächst keine Arbeit fand. Schließlich ließ er sich zum Psychotherapeuten ausbilden. Heute arbeitet er in der Selbstmordprophylaxe an einer Klinik und ist verheiratet.
Laut der Klostervorsteherin hat keiner der zehn befragten Menschen den Schritt bereut, den sie in fortgeschrittenem Alter setzten. „Alle beteuerten, dass sie wieder diesen Weg einschlagen würden.“ Keiner der Interviewten empfand die geistliche Berufung als zweite Liebe. „Alle sagten, dass sie die erste Liebe gewesen sei. Diese sei schon immer in ihnen gewesen und habe nur reifen müssen.“