Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Verhältnismäßigkeit

Vorarlberg / 10.04.2020 • 06:30 Uhr

Die Bundesregierung ist durch das Parlament mit weitreichenden Handlungsermächtigungen ausgestattet worden, um die Verbreitung des Corona-Virus zu stoppen. Auf dieser Grundlage wurde unsere Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt. Immerhin zeigen die Maßnahmen durchaus Wirkung: Der Umstand, dass Österreich rascher und entschlossener gehandelt hat als die meisten anderen Staaten der Welt, hat die Bundesregierung in die Lage versetzt, ein vorsichtiges Ausstiegsszenario zu entwerfen.

„Unverhältnismäßig ist ein Verbot beispielsweise, wenn es offenkundig keinen Nutzen bringt.

Dennoch wird es noch sehr lange dauern, bis eine gewisse Art von Normalisierung eintritt. Von der Vorstellung, in diesem Sommer auch nur ein paar Tage ans Meer zu fahren, sollten sich die Österreicher genauso vorsorglich verabschieden wie die Vorarlberger von dem Gedanken, dass es dieses Jahr „Festspiele“ geben sollte. 8000 Menschen dicht gedrängt aneinander sitzend auf der Seebühne? Wie soll das möglich sein?

Handlungsermächtigungen?

Allerdings sind die scheinbar unbegrenzten Handlungsermächtigungen der Behörden sehr wohl auch beschränkt: So darf die Regierung nur jene Maßnahmen ergreifen, die erstens zur Bekämpfung des Virus erforderlich und zweitens nicht unverhältnismäßig sind. Unverhältnismäßig ist ein Verbot beispielsweise, wenn es offenkundig keinen Nutzen bringt, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger im Verhältnis zum Nutzen zu stark beschränkt oder wenn es ein gelinderes Mittel gibt.

Ein treffendes Beispiel ist die diskutierte Tracking-App, mit der Personen gewarnt werden sollen, dass sie mit einer infizierten Person in Kontakt waren. Das verlangt die Preisgabe sensibler Daten. Dagegen besteht auch kein Einwand, solange das freiwillig geschieht. Ein Zwang zur Verwendung der App wäre dagegen ein unverhältnismäßiger Eingriff in den Datenschutz und das Privat- und Familienleben. Einerseits wäre der Nutzen ein bescheidener (wenn der Infizierte eine Maske trug oder Abstand hielt, war die Übertragungsgefahr gering), der Eingriff, nämlich eine staatliche Überwachung unseres Verhaltens, hingegen groß. Außerdem stünde mit einer Maskenpflicht ein gelinderes Mittel zur Verfügung.

Rücknahme

Wenn Einschränkungen Schritt für Schritt zurückgenommen werden, handelt es sich übrigens nicht um einen Gnadenakt der Regierung, sondern eine Verpflichtung, wenn es die Verhältnisse erlauben. Gewiss kommt den Behörden auch dabei ein großes Ermessen zu. Wir dürfen erwarten, dass sie pflichtgemäß vorgehen und die Verhältnismäßigkeit wahren.

Peter Bußjäger ist Direktor des ­Instituts für Föderalismus und ­Universitätsprofessor in Innsbruck.