Eine gute und eine schlechte Nachricht

Dass die Einschränkungen funktionieren, sei gut für die Gesundheit, aber schlecht für die Herdenimmunität.
Hörbranz 22 Jahre lang arbeitete Armin Fidler für die Weltbank und war lange Präsident der European Health Management Association (EHMA). Nun arbeitet der Public-Health-Experte am MCI Innsbruck, berät die Landesregierung in der Coronakrise und beantwortet Fragen der VN-Leser im Coronapodcast. Im Interview spricht er über die Bewältigungsstrategie, die psychischen Folgen der Isolation, Herdenimmunität und die Coronastudie der Bundesregierung.
Welche Möglichkeiten gibt es derzeit, um die Krise zu bewältigen?
Fidler Wir haben schon in verschiedenen Podcastfolgen über die Optionen gesprochen. Aber die Optionen sind nicht mehr relevant, Österreich hat sich für einen Weg entschieden. Diesen Weg verfolgen auch die meisten anderen Länder, nämlich die Hammer-und-Tanz-Strategie. Es geht darum, dass man die erste große Kurve der Epidemie mit dem Hammer niederschlägt. Das hat vielleicht keine Auswirkungen auf die absoluten Zahlen an Infektionen und Todesfällen, aber man kann sie mit den vorhandenen Ressourcen managen.
Es ist immer wieder von Containment die Rede. Was bedeutet das?
Fidler Das bedeutet, das Virus im Zaum zu halten. Im Prinzip ist es die Tanz-Strategie. Dazu benötigt es ein sehr gutes Datenmanagement, um zu sehen, wo neue Fälle auftreten, ob es Hotspots gibt, woher sie kommen und wie der Verlauf der Epidemie auf niedrigem Niveau weitergeht. In China, Singapur und Teilen Koreas sieht man, dass es immer wieder kleinere Ausbrüche gibt, aber keinen Peak (Höhepunkt) mehr. Das geht nur, wenn man die Epidemie intensiv verfolgt. Auch wir haben den Peak abgeflacht aber es wäre falsch, zu glauben, dass das Ganze überstanden ist. Es wird uns begleiten, bis wir eine Impfung haben. Im Moment sind ungefähr 115 Impfprojekte bekannt. Wir hoffen, dass einige davon erfolgreich sind.
Wie lange darf die Großmutter ihre Enkelin nicht in den Arm nehmen?
Fidler Das bereitet vielen Leuten Kopfzerbrechen. Die Frage lautet: Wie viele und welche Maßnahmen können wir eineinhalb Jahre fortsetzen? Das werden nicht alle sein. Alle haben den Zweck, die Risikopersonen möglichst zu 100 Prozent zu schützen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man alle eineinhalb Jahre isolieren kann. Auch die Frage nach den Kollateralschäden ist wichtig.
Meinen Sie damit psychische Folgen der langen Isolation?
Fidler Leider gerät es immer wieder in den Hintergrund, weil man diese Schäden wenig messen kann. Die psychologischen Folgen von Einsamkeit bei alten Menschen oder von geschlossenen Kindergärten und Schulen bei Kindern kann man nicht in Zahlen benennen. Tote, Infizierte, Krankenhausaufenthalte hingegen schon. Die Diskussion ist aber nicht weniger wichtig.
Muss man da am Ende auch abwägen?
Fidler Absolut, wir müssen permanent abwägen. Das gilt auch für die medizinische Versorgung. Wir wussten nicht, wie groß der Peak wird und haben Reservebetten geschaffen. Wahloperationen wurden zurückgefahren. Nun können diese Kapazitäten wieder langsam hochgefahren werden und wir können beginnen, die Bevölkerung wieder optimal zu versorgen. Aber wir haben immer noch ein paar Hundert Betten in der Dornbirner Messe als Versicherung aufgestellt, falls wir sie brauchen.
Die Bundesregierung hat in der Vorwoche eine Studie mit rund 1500 Coronatests präsentiert. Wie aussagekräftig sind solche Ergebnisse?
Fidler Sie hat eine limitierte Aussagekraft. Es heißt eben nichts anderes, als dass wir ungefähr wissen, wie viele Menschen in Österreich in der ersten Aprilwoche infiziert waren. Wäre die Zahl extrem hoch gewesen, hätte man sich das anschauen müssen. Aber eigentlich hat diese Information relativ wenig praktische Bedeutung. Die viel wesentlich wichtigeren Informationen erhalten wir durch die Antikörpertests, sobald sie möglich sind.
Bundeskanzler Sebastian Kurz hat aus den Ergebnissen geschlossen, dass das Konzept der Herdenimmunität nie funktioniert hat. Kann man das aus der Studie herauslesen?
Fidler Eigentlich nicht. Ich möchte nicht mit Fingern auf jemanden zeigen. Auch der Bundeskanzler ist sicherlich gut beraten und hat unglaublich viel dazulernen müssen. Dass bei einem sehr komplexen Thema in der Kommunikation manchmal Unschärfen entstehen, ist verständlich.
Ohne Herdenimmunität wird es wahrscheinlich nicht gehen, oder?
Fidler Wir wissen nicht, wie lange es dauert. Dass die Maßnahmen gut funktionieren, ist eine gute und eine schlechte Nachricht. Wir haben Neuinfektionen verhindert und Menschen geschützt. Aber ein großer Teil hat noch keine Erfahrung mit dem Virus gemacht. In Tirol hört man, dass jeder Siebte infiziert gewesen sein soll. Wenn das stimmt, wäre man dort bei einer Durchseuchung von 15 Prozent.