“Der Herrgott gab mir schon oft eine zweite Chance”

Vorarlberg / 20.06.2020 • 13:00 Uhr
"Der Herrgott gab mir schon oft eine zweite Chance"
Am wohlsten fühlt sich Leander Bitschnau in den Bergen.

Leander Bitschnau (68) ist seit 46 Jahren ein begeisterter “Sonnwendler” und Bergsteiger.

„Ich freu‘ mich aufs ,Füra‘. Aber ich weiß nicht, ob das Wetter mitspielt“, ist sich Leander Bitschnau (68) nicht sicher, ob er heute ein Sonnwendfeuer auf der Geißspitze entfachen kann. In den vergangenen zehn Jahren sorgte der Tschaggunser dafür, dass zur Sonnenwende auf dem Gipfel des 2334 Meter hohen Berges im Rätikon ein großes Feuer brennt. Um das zu bewerkstelligen, schleppten Leander und mehrere junge Mitstreiter auf ihrem Rücken 20 Kilogramm Holz auf den Berg. Das macht man nur, wenn man für eine Sache brennt.

„Ich war immer mit Eifer dabei“, sagt Leander, der viele Jahre auch die Drei Türme in Flammen gesetzt hat. Als Lehrling trat er der Bergrettung bei. Deren Mitglieder sorg(t)en dafür, dass der Sonnwend-Brauch gelebt wird. Der junge Leander schloss sich der Hilfsorganisation an, weil er Menschen im Gebirge zu Hilfe kommen wollte. „Ich habe eine Freude, wenn ich anderen helfen und sie retten kann.“ Deshalb wurde er später auch noch Pistenretter. In den vergangenen 46 Jahren konnte er viele Menschen retten. Aber als Bergretter birgt er auch Tote und begibt sich selbst in Gefahr. „Wir hatten schon manchen haarigen Einsatz.“

Mehrmals den Tod vor Augen gehabt

Leander selbst hatte den Tod schon mehrmals vor Augen. Bei seiner ersten größeren Bergtour, die er mit einem Kollegen im Jahre 1976 unternahm, war er sich nicht sicher, ob er je wieder ins Tal kommen würde. „Wir bestiegen das Matterhorn über den Liongrat. „Die Bedingungen waren extrem: Es war eisig und schneite. Unsere Ausrüstung war katastrophal. Wir hatten keine Klettergurte. Um 22 Uhr erreichten wir den Gipfel. In der Nacht stiegen wir über den Hörnligrat ab, bei einem halben Meter Neuschnee.“ Viele Schutzengel hätten damals auf ihn aufgepasst, meint er.

Diese Tour, die ihn ans Limit brachte, hielt ihn aber nicht davon ab, in der Folge immer höhere und schwierigere Berge zu besteigen. Im Lauf der Jahre bezwang der ausgebildete Bergführer mehrere 5000er und 6000er. Seine Expeditionen führten ihn unter anderem nach Nepal, Indien, Russland und Südamerika. 1983 wollte er in Nepal mit einem Kollegen einen 7500 Meter hohen Berg bezwingen. Sie waren schon in einer Höhe von 6500 Metern, als nachts eine Lawine ihr Zelt verschüttete. „Wir konnten uns beide aus den Schneemassen befreien  und uns ins Basislager durchkämpfen.“ Der Montafoner hätte schon x-Mal tot sein können. „Aber der Herrgott gab mir jedes Mal eine zweite Chance.“

“Ein Stadtbesuch ist für mich die größte Strafe.”

Leander Bitschnau, leidenschaftlicher Bergsteiger

1999 ereilte ihn ein Schicksalsschlag. Bei einem Skiunfall erlitt er lebensbedrohliche Kopfverletzungen. Als er über dem Berg war, die Ärzte ihm aber mitteilten, dass es mit dem Bergsteigen wohl vorbei sei, war Leander am Boden zerstört. Aber der Tschaggunser kämpfte sich zurück. „Zwei Jahre später machte ich wieder Touren.“

Nach einer Bergwanderung fühlt er sich wohl. „In der Natur kann ich mich erholen und Kraft tanken.“ Der 68-Jährige schätzt die Ruhe in den Bergen, ihre Schönheit und ihre tierischen Bewohner. „Es ist schön, die Gämse und Steinböcke zu beobachten.“

Im Tal gefällt es ihm weit weniger als in der Höhe. “Ein Stadtbesuch ist für mich die größte Strafe.“ Dass Leander die Stille dem Trubel vorzieht, liegt vielleicht auch daran, dass er in Latschau, einem abgeschiedenen Bergdorf, groß wurde. In Kindesjahren war der Wald sein Spielplatz. Als Jugendlicher ging er lieber in die Berge als in die Disco. Dass er sich der Bergrettung anschloss, macht den fitten Pensionisten heute noch froh. Denn: „Dort habe ich viel gelernt in Sachen Bergsteigen.“ Könnte der 68-Jährige noch einmal von vorne beginnen, würde er vieles gleich machen. Eines aber würde er anders machen: „Ich würde mit dem Bergsteigen früher anfangen.“