Ungeniert
„Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert.“ An dieses Motto scheint sich der frühere Vizekanzler und FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache zu halten. Als vor einem Jahr das heimlich aufgenommene Video über seine Unterhaltung mit einer vermeintlichen russischen Investorin bekannt wurde, ging man nach seinem Rücktritt von einem dauerhaften Ende seiner politischen Laufbahn aus. Man mag sich heute gar nicht ausmalen, was uns durch die Veröffentlichung dieses Video erspart geblieben ist.
Geschickt versuchte Strache dann, die Kritik darauf zu lenken, dass das Video mit zweifelhaften, vermutlich strafbaren Methoden zustande kam und ihm eine Falle gestellt worden war. Er selbst hingegen habe selbst im dichtesten Alkoholnebel immer auf eine rechtlich einwandfreie Abwicklung möglicher Geschäfte Wert gelegt. Nun ist es zweifellos nicht strafbar, die Kronen-Zeitung zu kaufen und dort missliebige Journalisten zu entfernen und das Vorbeischleusen von Parteispenden an den Berichtspflichten gegenüber dem Rechnungshof ist vielleicht nur die Nutzung einer Gesetzeslücke. Eine Erklärung dafür, wie Strache auf rechtlich einwandfreie Weise einer Baufirma Aufträge wegnehmen und einer russischen Investorin zukommen lassen wollte, ist er bis heute schuldig geblieben. Nach seinem Fall blieb nicht aus, dass mit Vorwürfen von Spesenbereicherung nachgetreten und sogar publik gemacht wurde, dass er angeblich größere Apothekenrechnungen für Männermedikamente zumindest vorschussweise durch seine Partei begleichen ließ. Das alles hindert ihn aber nicht, für die Wiener Gemeindewahl im Oktober ganz ungeniert an der Spitze einer eigens gegründeten neuen Partei zu kandidieren.
„Das ist eine bedenkliche Verharmlosung von Rauschgiftkonsum.“
Sein Ibiza-Partner, der frühere FPÖ-Klubobmann Gudenus, konnte inzwischen nach entsprechenden Fotos nicht mehr dementieren, Rauschgift konsumiert zu haben. Das wurde zwar von der Staatsanwaltschaft ebenso wenig weiterverfolgt wie die Vorwürfe gegen den Chef der Staatsholding aufgeklärt sind (angeblich sei der Drogenkonsum verjährt und ohnedies nicht strafbar gewesen). Dass die Schickimicki-Droge Kokain inzwischen auch von den Nasen hoher Staatsfunktionäre geschnupft und das als Kavaliersdelikt abgetan wird, ist eine bedenkliche Verharmlosung von Rauschgiftkonsum.
Unter dem Eindruck der Coronapandemie ist viel von der weiterhin notwendigen Einhaltung von Abstandsregeln zu hören. Es wäre nicht schlecht, auch wieder mehr über politische Anstandsregeln zu reden.
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates 20 Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
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