„Habe keine Tränen mehr, weil ich als Kind so viel weinte“

Zwei blutjunge Menschen verliebten sich ineinander und zeugten ein Kind. Doch ihr Umfeld stellte sich gegen sie.
Dornbirn Helga Piffer (78) ist ein Kind der Liebe. Ihre Mutter Maria – man nannte sie Maja – verliebte sich als 14-Jährige in ihren vier Jahre älteren Nachbarn Narciso. Der Gartenzaun war kein Hindernis für das blutjunge Liebespaar aus Leifers. Es kam, wie es kommen musste. Maja wurde schwanger und brachte Schande über ihre Familie.


Majas Vater, ein großer Obstbauer und eingefleischter Südtiroler, konnte es nicht akzeptieren, dass seine Tochter mit 14 Jahren ein Kind von einem Italiener erwartete. „Ich war bei Opa und Oma nicht erwünscht und musste weg. Sie wollten uns nicht zu Hause haben. Deshalb haben sie Mama und mich von der Familie ausgekoppelt und in die Obhut und Vormundschaft eines kinderlosen Ehepaares in Bozen gegeben“, erzählt Helga.
An die Front einberufen
Die Fulterers betrieben in Bozen eine große Schneiderei. „Mama durfte bei Ella Fulterer eine Lehre machen.“ 1942 optierten die Fulterers für Deutschland und ließen sich in Dornbirn nieder, wo sie eine Schneiderei eröffneten. „So kamen Mama und ich nach Vorarlberg.“ Als Helgas Vater Narciso erfuhr, dass Maja mit der Tochter nach Vorarlberg gezogen war, optierte er ebenfalls für das Deutsche Reich. „Papa wurde dann aber gleich an die Front einberufen.“
Nach dem Krieg wollte Narciso seine kleine Familie mit nach Südtirol nehmen und Maja heiraten. Doch Ella Fulterer drohte ihm mit der Polizei und verjagte ihn. „Aber Papa gab nicht auf. Er wollte mit meiner Mutter fortgehen und mich später holen. Doch meine Mama wollte nicht ohne mich gehen.“ Narciso hatte alles versucht, aber verloren. 1947 wanderte der gelernte Maurer mit einem Cousin nach Argentinien aus.
In den ersten neun Jahren ihres Lebens teilte sich die kleine Helga mit ihrer Mutter ein Zimmer. „Ich hatte eine gute Beziehung zu ihr. Sie war meine Mama.“ Der neunte Geburtstag war kein schöner Tag für das Mädchen. Ella Fulterer zeigte ihr an diesem Tag den Adoptionsschein. „Sie sagte zu mir, dass sie nun nicht mehr die Tante Ella, sondern meine Mutter und der Onkel Ernst jetzt mein Vater sei.“ Die Neunjährige verstand nicht, dass sie nun nicht mehr das Kind ihrer Mama ist. Aber als diese die Koffer packte, realisierte sie, dass sie sie jetzt verlieren würde. „Als Mama auszog, schrie ich wie von Sinnen.“ In der Nacht darauf machte das Kind zum ersten Mal ins Bett. Das verstörte Mädchen durfte seine Mama nicht mehr sehen und musste zu seiner Adoptivmutter Mutti sagen. „Anfangs tat ich mir schwer damit. Jedes Mal, wenn ich Tante Ella sagte, hatte ich ihre Hand im Gesicht.“ Helga mangelte es nicht an materieller Fürsorge. „Aber Mutti war nicht sonderlich liebevoll. Papa mochte ich lieber.“
„Opa schimpfte mich Bastard und drohte mir, mich den Zigeunern zu geben.“
Helga Piffer, Adoptivkind
Maja, ihre leibliche Mutter, trat erst 1963 wieder in ihr Leben. „Oskar und ich hatten geheiratet. Unsere Hochzeitsreise führte uns nach Südtirol, wo meine Mama mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern lebte. Nach zwölf Jahren sah ich sie zum ersten Mal wieder.“ Helga hat das Wiedersehen in schöner Erinnerung. „Wir haben uns umarmt und geküsst. Aber Tränen flossen keine. Ich habe als Kind so viel geweint, dass ich keine Tränen mehr habe.“ Damals traf sie auch mit ihren Großeltern zusammen. „Da kam mir wieder in den Sinn, dass Opa mich öfters Bastard geschimpft hat und damit gedroht hat, mich den Zigeunern zu geben.“ Nach dem Wiedersehen riss der Kontakt zu ihrer richtigen Mutter nie mehr ab.
Hatte nie aufgehört, Maja zu lieben
Ihren leiblichen Vater hingegen kannte Helga nicht einmal aus Erzählungen. „Ich hatte lange keine Ahnung, wer mein Vater ist.“ Helgas Sohn Jürgen brachte jedoch 1994 einen Stein ins Rollen, als er dessen Adresse in Argentinien ausfindig machte. „Daraufhin habe ich meinem Vater einen langen Brief geschrieben.“ Zwei Monate später kam eine Antwort. „Er schrieb mir, dass er verheiratet sei und drei Kinder hätte.“

1998 begegnete Helga ihrem Vater zum ersten Mal. Narciso war nach Vorarlberg gekommen, um seine Tochter kennenzulernen, um die er einst vergeblich gekämpft hatte. Helga arrangierte auch ein Treffen mit ihrer Mutter Maja, seiner einstigen großen Liebe. „Wir trafen uns in einem Hotel in Südtirol. Mama und Papa redeten miteinander wie ein verliebtes Paar.“ Ab da blieben Helgas Eltern in Kontakt. „Sie telefonierten regelmäßig miteinander.“ Bevor Narciso starb, vertraute er seiner Tochter Helga an, dass er nie aufgehört habe, Maja zu lieben.
