Besonders
Politik ist ein Beruf, für den keine Ausbildung vorgeschrieben ist. Wäre das der Fall, müsste sie unter anderem folgende Fächer enthalten: erstens, grundsätzliche Positionen. Zweitens, Möglichkeiten, Mehrheiten dafür zu gewinnen. Besonders in einer Demokratie kann ja nur umgesetzt werden, was von mindestens 50,1 Prozent der Wähler oder ihrer Vertreter auf parlamentarischer Ebene mitgetragen wird. Dazu nötig sind strategisches und vor allem auch rhetorisches Geschick. Bei Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz macht es 90 Prozent des Erfolgs aus. Zumal er damit besonders ist. Wichtiger als grundsätzliche Positionen sind Stimmungen für den Wiener, der gerne auch Waldviertler ist: Was will die Mehrheit hören? Damit arbeitet er hemmungslos, aber wirkungsvoll. Über die Rhetorik des Sebastian Kurz sind schon Bücher geschrieben worden: Der Kommunikationsexperte und Autor Thomas Wilhelm Albrecht hat etwa dargelegt, wie einfach und logisch die Reden aufgebaut sind. Zunächst sind oft sogar die größten Widersacher sprachlos.
Ohne Herausforderer
Umso bemerkenswerter ist, dass diese politischen Mitbewerber nicht viel mehr an sich selbst arbeiten: Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) mag sich entwickeln; sie ist aber noch immer weit entfernt davon, auch nur in die Nähe von Sebastian Kurz zu kommen. Norbert Hofer (FPÖ) hat seine Form mit den Präsidentschaftswahlen 2016 verloren, sein Ex-Parteifreund Heinz-Christian Strache ist seit dem Ibiza-Video ein Schatten seiner selbst. Beate Meinl-Reisinger (Neos) kommt wiederum nur selten durch. Werner Kogler (Grüne) schwurbelt, stiftet bisweilen also mehr Verwirrung.
„So lange Kurz allein ist mit seinen kommunikativen Fähigkeiten, muss er sich keine Sorgen machen um seine Macht.“
„Das Virus kommt mit dem Auto nach Österreich“, sagte der Kanzler vor zwei Wochen. Das war absurd, um es vorsichtig zu formulieren: Es suggerierte, dass es sich um eine fremde Bedrohung handelt, eingeschleppt von Kroatien-Urlaubern. Dabei sind die meisten Neuinfektionen noch immer „Made in Austria“. Der Satz bleibt jedoch hängen. Und keinem anderen Politiker, keiner andere Politikerin gelingt es, Kurz eine ähnlich wirkungsvolle Botschaft entgegenzuhalten.
Rollentausch
Oder die Rede gestern zur Pandemie: Schon in den Tagen zuvor hatte der Kanzler Teile davon durchsickern lassen, viele Medien berichteten nur noch darüber. Zentrale Botschaft: Im Sommer 2021 wird es wieder die gewohnte Normalität geben. Freut Euch! Sicher sein kann sich Kurz bei seiner Prognose natürlich auch nicht; damit macht er sich angreifbar. Andererseits: Er gibt die Verantwortung für die Unzulänglichkeiten seiner Regierung ab, von den unerträglichen Pannen bei Grenzkontrollen bis zu jenen bei Gesetzestexten; zugleich schlüpft er in die Rolle des Mutmachers der Nation. Wer will nicht hören, dass es ein Licht am Ende des Tunnels gebe? Das sitzt. Und so lange Kurz allein ist mit diesen Fähigkeiten, muss er sich keine Sorgen machen um seine Macht; sie wird nicht herausgefordert.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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