Warum Lech den Gürtel enger schnallen muss

Vorarlberg / 21.10.2020 • 17:16 Uhr

Bürgermeister Stefan Jochum will für Dinge, die gut sind für Lech, Mehrheiten finden.

Lech Noch ist Stefan Jochum – aufgrund von Renovierungsarbeiten – nicht ganz im Bürgermeisterbüro in Lech angekommen. Als Nachfolger von Langzeitbürgermeister Ludwig Muxel steht der neue Gemeindechef nach seinem Amtsantritt vor einigen Herausforderungen. Corona und das neue Gemeindezentrum stellen die Gemeindefinanzen vor eine Belastungsprobe. Mit Strategieprozessen will der neue Bürgermeister die Gemeinde vorwärtsbringen und Mehrheiten für „gute Projekte“ finden.

Wie fühlen Sie sich in der neuen Rolle?

Jochum Einleben konnte ich mich noch nicht wirklich, da das Bürgermeisterbüro nach 27 Jahren etwas renoviert und neu ausgemalt wird. Noch bin ich in meinem alten Büro, aber wenn alles gut geht, werde ich Ende Woche in das neue Büro umziehen. Ich habe in den letzten 14 Tagen aber schon gespürt, dass die Menschen vermehrt auf mich zugehen, mir gratulieren und mir alles Gute wünschen. Das ist zugegebenermaßen schön und motiviert. Dass wir vor herausfordernden Zeiten stehen, ist mir absolut bewusst.

Worin unterscheiden Sie sich von Ihrem Vorgänger? Was wollen Sie anders angehen?

Jochum Ich will meinem Vorgänger nicht unterstellen, dass er nicht mit den Menschen geredet hat, aber ich denke, es ist wichtig, dass man auf die Menschen zugeht und vor allem auch in der Gemeindevertretung in sämtlichen Gremien die Dinge offen kommuniziert. Die Informationen sollen nicht erst in der Sitzung kommen. Es soll jeder die Möglichkeit haben, sich auf die Sitzung vorzubereiten. Auch die Bevölkerung soll informiert werden, was ansteht, bzw. eingebunden werden. Ich bin ein Mensch, der offen auf Leute zugeht. Was war in der Vergangenheit so und das wird auch so bleiben.

Wird es in Lech künftig Gemeindesitzungen geben, die man digital verfolgen kann?

Jochum Auf jeden Fall. Das ist ein wichtiges Ziel von mir. Das braucht allerdings einen Beschluss der Gemeindevertretung über Bild- und Tonaufnahmen. Es hat in der konstituierenden Sitzung dazu bereits die ersten Ansätze gegeben. Gerade in der jetzigen Zeit sollte es die Möglichkeit geben, von zuhause aus die Debatten und Beschlüsse per Livestream mitzuverfolgen.

Sie sprachen vor Ihrer Wahl von einem Strategieprozess, den Sie in Lech mit den übrigen Listen initiieren wollen. Wie sieht diese Strategie aus?

Jochum Es gibt einmal einen Strategieprozess im Gemeindeamt: Hier wollen wir versuchen, die Gemeindeverwaltung gemeinsam mit den Mitarbeitern des Gemeindeamts und des Bauhofs zu optimieren. Damit wir ein dienstleistungsorientiertes Gemeindeamt sind, das in die neue Zeit hineingeht. Andererseits mit der Gemeindevertretung: Wir werden Anfang November eine Klausur machen und dann miteinander festlegen, wie unser Weg in Zukunft ausschaut. Welche Dinge sind uns wichtig? Wie gehen wir miteinander um? Jeder einzelne Gemeindevertreter soll die Möglichkeit haben, sich einbringen zu können, damit wir am Ende gute Lösungen im Sinne unseres Dorfes finden.

Zählt zu diesem Strategieprozess auch weiterhin das strikte Nein der Gemeinde zu neuen Ferienwohnsitzen?

Jochum Ich glaube nicht, dass sich hier Wesentliches ändern wird. Lech hat sich diesbezüglich klar ausgesprochen, dass wir keine neuen Ferienwohnungen haben wollen, und ich sehen da auch keinen Anlass, dass wir das ändern. Mit dem Investorenmodell haben wir ohnehin schon unsere liebe Not. Hier wird es Mittel und Wege brauchen, diesen Teil des Gesetzes so zu reparieren, dass es auch für eine Tourismusdestination wie Lech funktioniert. Denn in den letzten Jahren haben diese Chalets zugenommen. Es wurden Häuser errichtet bzw. übernommen und umgewandelt, und diese sind mehr oder weniger dunkel.

Der Bau des Gemeindezentrums hat im Wahlkampf hohe Wellen geschlagen. Sie sprachen davon, dass hier nicht immer mit offenen Karten gespielt wurde. Was meinten Sie damit?

Jochum Es wurde in den einzelnen Arbeitsgruppen durchaus gute Arbeit geleistet. Das Zusammenspiel der Informationen hat aber nicht immer so funktioniert, wie sich das jeder gewünscht hätte. Ich glaube, dass manche Leute im Dorf auch wirklich nicht genau gewusst haben, wie das genau ausschaut.

Wie steht es überhaupt um besagtes Bauprojekt? Steht aufgrund der finanziellen Belastung ein Baustopp im Raum?

Jochum Aktuell läuft die Bau­etappe zwei. Diese wird auch fertiggestellt. Derzeit ist es so, dass wir aufgrund von geländetechnischen Dingen Verzögerungen haben. Einen Baustopp brauchen wir nicht, da wir gar nicht so weit fertig werden, wie es im Plan ist. Es gilt zunächst diese Etappe abzuschließen und dann müssen wir über die nächste Etappe diskutieren.

Sie haben mit Ihrer Liste 5 von 18 Sitzen in der Gemeindevertretung und somit keine Mehrheit. Setzen sie auf das freie Spiel der Kräfte?

Jochum Gemeindepolitische Entscheidungen sollten für die Dinge, die gut sind für Lech, Mehrheiten finden. Das wäre mir sehr wichtig. In einigen Themen wird das einfacher werden, bei anderen Dingen wird es Gesprächsbedarf geben. Wichtig wäre mir, dass wir alle miteinander gute Lösungen finden und Sachen nicht sinnlos blockiert werden. Wichtig ist, dass man sich auf Augenhöhe begegnet, Dinge ausdiskutiert und Konsense findet oder eben nicht.

Wie sieht es mit den Gemeindefinanzen aus?

Jochum Ganz rosig sieht es derzeit sicher nicht aus. Wir wissen alle nicht, wie sich die nächsten Wochen und Monate entwickeln werden. Die Tourismusgemeinden sehen diese Entwicklung natürlich mit großer Sorge, denn einen großen Teil unseres Budgets lukrieren wir aus Einnahmen im Zusammenhang mit dem Tourismus. Wenn ich die Einnahmen so anschauen, ist ein Rückgang zu verzeichnen. Hier braucht es sicher einen Kassensturz, das hat die alte Gemeindevertretung bereits initiiert. Da sind wir mittendrin. Aber es ist sicher kein Geheimnis, dass wir sparen müssen und Dinge, die nicht unbedingt notwendig sind, auf die lange Bank schieben.

Wie steht es um den sozialen Wohn-bau in Lech? Gibt es genügend Wohnraum für junge Familien?

Jochum In den letzten Jahrzehnten hat sich diesbezüglich in Lech doch recht viel getan. Da wurden einige Projekte umgesetzt. Mein Vorgänger Ludwig Muxel war da sehr aktiv. Aktuell ist etwas in Zug geplant. Wir müssen schauen, dass sowohl die jungen Lecher dableiben, aber auch an die ältere Generation denken. Beim Haus 196, das derzeit als betreubares Wohnen konzipiert ist, gilt es etwa Überlegungen anzustellen: Können wir das als betreutes Wohnen umsetzen?

Haben Sie im Ort Stimmen von Hotelbetreibern gehört, die überlegen, ihr Hotel gar nicht aufzusperren?

Jochum Diese Stimmen habe ich auch schon vernommen. Gerade in den letzten zwei Wochen hat es durch die Reisewarnungen massiv Stornos gehagelt, und da fragen sich schon viele, wie gehe ich damit um. Ich verstehe jeden Betriebsinhaber, dass sich das jeder ganz genau anschaut. Dennoch wäre es sehr wichtig, dass Lech in Betrieb geht. Wir können als Gemeinde nur versuchen, ein gutes Sicherheitskonzept zu machen. VN-JS, tw

Zur Person

Stefan Jochum

GEBOREN 12. 3. 1966

LAUFBAHN Standesbeamter der

Gemeinde Lech, Vizepräsident des

Ski Club Arlberg, Moderator vieler

Veranstaltungen und Obmann der

Trachtenkapelle Lech, Inhaber Frühstückspension Bürstegg

FAMILIE verheiratet mit Ulli