“Bürgerbeteiligung muss wirklich gewollt sein”

Michael Lederer über Beteiligung in der Coronakrise.
Bregenz Bürgerbeteiligung und Vereinsleben sind in Zeiten der sozialen Distanz auf eine harte Probe gestellt. Michael Lederer ist im Landhaus für solche Themen zuständig. In der VN-Woche spricht er über diese Themen sowie über Bürgerräte, Raumplanung und vieles mehr.
Wie geht es den Vereinen in der aktuellen Situation?
Lederer Es ist für alle eine große Herausforderung. Sie müssen den Spagat zwischen dem sorgsamen Umgang mit der Situation und einem aktiven Vereinsleben schaffen. Da gibt es bereits spannende und innovative Ideen. Das Onlinetraining vom Karateverein Bregenz hat zum Beispiel international Aufmerksamkeit erzeugt.
Kann das Vereinsleben aufrechterhalten werden, wenn von der Politik die Botschaft kommt, soziale Kontakte, also auch in Vereinen, zu meiden?
Lederer Da geht es um Kreativität. Wie können Alternativen aussehen? Es gibt Vereine, die ihre Jahreshauptversammlung digital abwickeln. Das ist natürlich kein Ersatz, kann aber zur Überbrückung dienen. Aber es gilt, eine gute Balance zu finden. Auf der einen Seite braucht es ein sinnvolles Management der Pandemie, auf der anderen Seite ein Augenmerk auf das soziale Miteinander und das Gemeinweisen, das Vorarlberg in vielen Bereichen auszeichnet.
Wie sehr beeinflusst die Coronasituation die Bürgerbeteiligung?
Lederer Tendenziell herrscht die Gefahr, dass man einen Beteiligungsprozess absagt und das Projekt ohne Beteiligung durchzieht. Aber die Frage lautet nicht, ob man einen abhält, sondern wie er abgehalten wird. Vieles ist im digitalen Raum möglich, vieles in Hybridform. Wir haben uns intensiv mit der Frage beschäftigt und eine Onlinepublikation erstellt, die sich Raumwechsel nennt.
Auch ohne Corona sind Bürgerbeteiligungsprozesse nicht immer erfolgreich. Worauf muss geachtet werden, damit sie funktionieren?
Lederer Es gibt viele Faktoren. Einer der wichtigsten lautet: Ein Bürgerbeteiligungsprozess muss wirklich gewollt sein. Es braucht den politischen Willen, den Bürgern Gestaltungsspielraum zuzusprechen und verantwortungsvoll und transparent zu zeigen, wie mit dem Ergebnis gearbeitet wird. Sonst ist es unnötiger Aufwand.
Kommt das oft vor?
Lederer Es hat immer wieder Beispiele gegeben, bei denen wir leider zu spät gemerkt haben, dass die Ernsthaftigkeit nicht vorhanden ist. Die Ergebnisse sind dann in der Schublade verschwunden. Diese Situationen möchten wir vermeiden, weil wir Beteiligungskultur stärken möchten. Gerade solche Erfahrungen konterkarieren das stark.
Sind Bürgerbeteiligungsprozesse nicht oft ein Elitenprojekt? Immer dieselben Leute verlieren sich in grundsätzlichen Diskussionen …
Lederer Im Engagementbereich gibt es Untersuchungen, die einen Mittelschichtüberhang zeigen. Es sind tendenziell eher höher gebildete, Männer und Ältere ab 45. Deshalb haben wir vor vielen Jahren begonnen, bei den Bürgerräten die Teilnehmer per Zufall einzuladen. Es braucht heterogene Gruppen.
Bürgerräte hat es ja schon einige gegeben. Aber erst 2017 haben die Bürger mit der Raumplanung selbst einen Bürgerrat einberufen. Wäre das nicht der Idealtypus des Bürgerrats?
Lederer Es ist eine sinnvolle Variante. Seit 2013 ist es möglich, dass mit 1000 Unterschriften ein Bürgerrat einberufen werden kann. Bis 2017 hat es gedauert. Es ist aber auch sinnvoll, dass die Exekutivseite einen Prozess initiieren kann. Da findet ein Beratungsprozess statt. Die Politik holt von den Bürgern eine qualitative Stellungnahme ein, die nicht von Einzelinteressen geprägt ist sondern das Gemeinwohlinteresse verkörpert.
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