Ich träume, daher bin ich
Ich wachte auf – oder träumte, dass ich aufwachte –, konnte nicht weiterschlafen, surfte am Computer – oder träumte, dass ich Werbung und anderes Buntes sähe –, blieb schließlich bei einer Diskussion hängen. Es ging um die schillerndste Kunstfigur des gegenwärtigen Kabaretts, sie trug ein schwarzes Kleid aus Plastik oder Leder, und sie verteilte Weisheiten, mitten in mein Computerauge hinein. „Der Satire ist eigen der Spott.“ Die Verachtung. Das heißt: Einer ist besser, wenn der andere schlechter ist. Einer ist größer, wenn der andere kleiner ist. Sie sprach von ihrem „Werk“. Nietzsches Werk fand sie „wehleidig“, Kafkas Werk „zu fröhlich“. Meine Lieblinge, hörte ich meine Stimme rufen, lass meine Lieblinge in Ruhe! Ich bin eine „verwirrte Verehrerin“ – sie erklärte es, soll heißen: Die da kommt schon auch noch drauf. In der Runde saßen gewichtige Meinungsweiterträger wie der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, die vernünftige Marianne Koch. Sie hörten dem Spott und der Verachtung zu, als wären die Worte aus Gold. Allem, was gesagt wurde, wurde gehuldigt. Kurz nickte ich über dem Computer ein … schlafen, träumen. Ich träumte von der güldenen Halterung eines Spielgels, und der Spiegel war leer.
„Ich wurde als Kind von einem schwarzen Hund gebissen. Ich war auf ihm geritten, als wäre er mein Pferdchen.“
Ich träumte weiter von einem festlich gedeckten Tisch, noblen Gästen, feinem Essen. Mitten auf dem Tisch thronte ein mageres Mädchen, ihr Thron war zugleich ihr Töpfchen. Es hatte einen riesigen Teller vor sich, stocherte im Essen herum, es war ein Menschenteller mit bravem Broccoli und sündigem Tartare, das Mädchen machte ein angeekeltes Gesicht. Die Gäste um den Tisch herum schauten hingerissen zu, weil das Mädchen ja auch so klug plapperte – aus Broccoli wurde eine Frisur, aus Tartare ein Wehwehchen. Zum Schluss verschüttete es im hohen Bogen ihren Kakao, als wäre er Weihwasser, bekleckerte die Anwesenden, das Seidenkleid, die Anzüge. Applaus auf Knien. Und nun durften die Gäste in das Töpfchen des Mädchens schauen und bewundern, was da alles gemacht worden war. – Und ich träumte, ich könnte endlich wieder einschlafen …
Ich wurde als Kind von einem schwarzen Hund gebissen. Ich war auf ihm geritten, als wäre er mein Pferdchen. Das war ihm zu viel geworden. Wir bekamen beide eine Spritze, er eine, damit er stirbt, ich eine, damit ich nicht krank werde. Die Wunde wurde genäht, ich sehe heute noch die Narbe, auf die ich damals sehr stolz war und gern herzeigte. Ich ziehe unter der Bettdecke die Knie an und lege den Finger auf die Wunde. Der Sohn des Hundebesitzers hat mir vor einiger Zeit eine Mail geschickt – darum wohl dieser Traum. Er war in seinem Leben Industrie-Designer gewesen und ist jetzt in Pension. Wir könnten uns gegenseitig von früher erzählen, schrieb er.
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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