Ach ja, jetzt wo du es sagst
Anfang Februar, mitten im Lockdown, habe ich der Friseurin eine Whatsapp geschickt mit der Bitte um einen Termin, sobald es wieder möglich ist. Ich schrieb, ich hoffe, es geht ihr trotz allem gut, und dass ich ein neues Autorinnen-Foto machen muss, was mit den derzeitigen ausgewachsenen, zerfransten Corona-Federn undenkbar ist. Die Friseurin antwortete, nach derzeitiger Terminlage habe sie so Ende März, Anfang April Zeit für mich, aber sie könnte mich auf die Warteliste setzen, falls unerwartet jemand seinen Termin aufgibt. Ja, bittebitte!!!!, schrieb ich. Bloß war dann meine Hoffnung, dass in diesen Wochen irgendwer seine Chance auf einen ordentlichen Haarschnitt aufgeben würde, sehr, sehr minimal. Ich blickte in den Spiegel: So ging das auf keinen Fall bis Ende März, Anfang April. Ich griff zur Schere und schnitt mal vorsichtig auf der Seite etwas weg. Dann auf der anderen Seite. Dann vorne. Undsoweiter.
„Ich blickte in den Spiegel: So ging das auf keinen Fall bis Ende März, Anfang April.“
Ich finde, ich habe das ganz gut gemacht. Es ist ein bisschen wie Radfahren, wenn man’s einmal kann, verlernt man es nie, und ich hatte in meinen frühen Erwachsenenjahren ja kein Geld übrig für so Firlefanz wie Friseur. Ich fand, es sah gar nicht so schlecht aus; tatsächlich kassierte ich von den wenigen Leuten, die ich traf, misstrauische Blicke: Ja hallo, wieso hattest du einen Friseurtermin, mitten im Lockdown, geht da irgendwas nicht mit rechten Dingen zu? Ich sagte, nix da, selber geschnitten! Die Leute sagten: Ach ja, jetzt wo du es sagst.
Aber nun dürfen die Friseurinnen und Friseure wieder offiziell Haare schneiden und vorletzte Woche erhielt ich plötzlich eine Whatsapp, es sei ein Termin freigeworden, am Dienstag, um 08.15 Uhr, wolle ich den? Und wie ich den wollte. Ich organisierte die halbe Woche um diesen ersehnten Termin herum. Am Montag ging ich testen, am Dienstag stellte ich mir einen Wecker auf sechs, damit ich vor dem Friseur noch ordentlich mit dem Hund rausgehen und Brot holen konnte, dann duschen, dann die Teenager mit Kaffee für die Schule wecken, um acht aufs Fahrrad, alles im Plan. Bloß hatte es Dienstag in der Früh in Wien so viel geschneit, dass sogar mir das Radfahren zu gefährlich war, was meine ganze schöne Logistik durcheinander warf: Der Hund bekam nur einen halben Spaziergang und die Kinder keinen Kaffee, damit ich bloß rechtzeitig den Bus erwischte. Jetzt auf keinen Fall ein Risiko eingehen! Der Bus kam pünktlich, Gott sei Dank. Und die Friseurin nahm meinen Eigenbau-Haarschnitt überraschend wohlwollend zur Kenntnis; allerdings muss ich sagen, dass meine Haare jetzt ungewöhnlich kurz sind. Aber mit Profi-Schnitt, halleluja.
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
Kommentar