Angst
„Wovor“, fragte ich meinen Freund, „wovor fürchtest du dich?“
„Ich fürchte mich vor der Angst“, sagte er. Ich kenne ihn seit der Schulzeit, ein Mann mit Humor. Gern schaute er ins Weite, war immer an allem interessiert, nichts konnte ihm schnell genug gehen. Und jetzt?
„Ach, mir hatte es dein Rossschwanz angetan. Er hat so fröhlich gewippt. Ich wollte auch so fröhlich sein.“
„Elmar“, sagte ich, „erinnerst du dich noch, als du mir einmal eine kleine Bensdorp-Haselnuss geschenkt hast? Das war eine Liebeserklärung?“
„Ach“, seufzte er und hielt seinen Kopf schief. Ich kenne ihn gar nicht so verzagt. „Ach, mir hatte es dein Rossschwanz angetan. Er hat so fröhlich gewippt. Ich wollte auch so fröhlich sein. Ich wollte ihn gern angreifen, habe mich aber nicht getraut.“
„Sag, Elmar, was ist das? Ist es eine anhaltende, eine diffuse Gefahr, deine Angst?“
„Du hast recht, Monika“, sagte er, „das ist es. Aber ich weiß trotzdem nicht, was du meinst. Du denkst wahrscheinlich, ich habe vor etwas Bestimmtem Angst? Das stimmt aber nicht.“
„Ach, du armer Kerl!“, sagte ich. „Kannst du nicht mit deiner Frau darüber reden? Reden ist immer gut.“
„Ich möchte mit dir darüber reden“, sagte Elmar. „Meiner Frau käme das alles sehr merkwürdig vor.“
„Aber, du armer Kerl“, sagte ich, „sie muss dich doch besser kennen als ich. Du bist dreißig Jahre mit ihr verheiratet.“
„Sie will nur meine lustige Seite. Wenn ich ihr etwas kaufe, was sie mir vorher genau beschrieben hat, dann bin ich für sie, ich trau mich es gar nicht zu sagen, dann bin ich für sie ihr Putzi. Ich nehme mich zusammen und will ihr sagen, was in mir vorgeht, und sie denkt über ihre neue Haarfarbe nach, das sehe ich ihr an. Monika, allein, dass du mich armer Kerl nennst, wirkt wie Medizin auf mich.“
„Du musst dich öffnen, Elmar.“
„Ich finde die Tür nicht. Ist sie in meinem Bauch oder in der Wade oder hinter dem Ohr? Einmal habe ich gelesen, da hat ein Vernünftiger, so ein Erfolgreicher, ein Guter, ein Supertyp eben, der hat zu einem Verlierer, der überhaupt keine Chance bei Frauen hatte, zu so einem hat er gesagt, es gibt eben zwei Kategorien von Menschen, die einen sind so wie ich, also erfolgreich, vernünftig, super, und man sieht es ihnen auch an, und dann gibt es die mit den inneren Werten, solche wie du, denen sieht man es nicht an, die müssen sich öffnen. Und da hat der andere, der Erfolglose, gesagt, er glaubt nicht, dass eine Frau erst auf seine Obduktion warten möchte. Da habe ich gelacht und dann gleich nicht mehr, nämlich weil ich so einer bin. Ach, bitte, Monika, sag noch einmal armer Kerl zu mir.“
„Nur wenn du einen Kopfstand machst“, sagte ich. „Wenn dir das Blut in den Kopf rinnt, das tut dir sicher gut.“
„Du nimmst mich auf den Arm.“ „Nein, ich nehm dich in den Arm, du armer Kerl.“
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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