Nichts ist, wie es einmal war

Vorarlberg / 27.05.2021 • 18:54 Uhr
Hertha Nöst-Gertschnig hat die Folgen ihrer Covid-Erkrankung noch lange nicht überwunden. Die Krankenschwester braucht viel Geduld. VN/Paulitsch
Hertha Nöst-Gertschnig hat die Folgen ihrer Covid-Erkrankung noch lange nicht überwunden. Die Krankenschwester braucht viel Geduld. VN/Paulitsch

Hertha Nöst-Gertschnig leidet an Long Covid. Die Krankheit hat ihr Leben vollkommen verändert.

Muntlix Rein äußerlich sieht man der schlanken 57-Jährigen nichts an. Hertha Nöst-Gertschnig wirkt fit und kerngesund. „Ich hab’ heute einen guten Tag“, lacht sie. Sie hatte bis Mitte März eigentlich nur gute Tage. Täglich saß sie auf ihrem Bike, fuhr zu ihrem Arbeitsplatz und in die Berge. 1500 Höhenmeter während einer Tour waren für sie kein Problem.

Doch dann kam Covid. „Mein Mann hat mich angesteckt. Den erwischte es gleich so schlimm, dass er ins Krankenhaus musste. Ich blieb vorerst zu Hause.“ Doch es wurde auch bei Hertha schlimmer. Husten, Fieber, bleierne Müdigkeit, Schwäche. Halt das Übliche. Die Mutter einer Tochter ging schließlich auch ins Krankenhaus.

Schnell außer Atem

So weit, so schlecht und für die Covid-Symptomatik normal. Doch das, was das Leben der Hertha Nöst-Gertschnig nachhaltig veränderte, kam nach dem Höhepunkt der Krankheit. „Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass sich meine Konstitution nachhaltig verändert hatte. Ich fühlte mich weiterhin schwach und kam schnell außer Atem“, erzählt die diplomierte Krankenschwester, die – Ironie des Schicksals – auf der Pulmologie in Hohenems tätig ist. Ein Schlüsselerlebnis prägte sie ganz besonders. „Als ich bald nach meinem Spitalsaufenthalt von meiner Wohnung in Muntlix über die Frutz nach Rankweil spazieren wollte, musste ich aus Erschöpfung abbrechen.“ Die 57-Jährige muss sich mit ihrem neuen Leben arrangieren. Zumindest so lange es so bleibt, wie es ist. „Und ich weiß ja nicht, wie lange dieser Zustand andauern wird“, meint sie illusionslos. Derzeit muss sie zur Kenntnis nehmen: Sie ist ein Schatten von früher. In ihrem neuen Leben bäckt Hertha Nöst-Gertschnig kleinere Brötchen. Sie begnügt sich mit kleinen Spaziergängen statt Bergsteiger-Touren, sie radelt kurze Strecken in der Umgebung, statt am Feierabend noch rasch 1000 Höhenmeter zu bewältigen, sie gönnt sich Ruhe, statt umtriebig ihr früher gewohntes Sportprogramm abzuspulen. Sie verwendet einen Cortison-Spray, wenn sie nach einer Anstrengung schwer Luft bekommt.

Die neuen Erfahrungen

Die gebürtige Oststeirerin hat andere neue Erfahrungen in ihrem Leben gemacht. „Im Zug nach Hohenems oder zurück nach Rankweil passiert es immer wieder, dass ich einschlafe. Abgesehen davon, dass ich vor der Covid-Erkrankung noch regelmäßig zu meiner Arbeit geradelt bin.“ Unlängst passierte es ihr, dass sie nach zwei schweren Arbeitstagen fast einen Tag durchschlief. Auf der Pulmologie-Station in Hohenems ist die Krankenschwester zum wertvollsten Testimonial der Krankheit geworden. „Es ist etwas anderes, Mitleid und Verständnis für die Patienten zu zeigen, als aus der Position einer Betroffenen mit ihnen zu kommunizieren. Ich weiß, wie es ihnen geht, und ich kann ihnen das glaubhaft machen.“

Dabei spricht Nöst-Gertschnig über sich nicht als dramatisches Corona-Opfer. „Da gibt es schlimmere Schicksale. Menschen, die beatmet werden müssen, auf der Intensivstation landen oder durch ihre Beeinträchtigungen die Arbeit verloren haben. Long Covid schreibt noch traurigere Geschichten als die meine.“

Hertha Nöst-Gertschnig weiß nicht, wann und ob sie überhaupt ihr altes Leben zurückbekommt. „Mein Chef, Primar Dr. Cerkl, sagt mir immer, ich muss Geduld haben. Ich versuch’s.“

„Es ist etwas anderes, aus der Position einer Betroffenen mit Patienten zu kommunizieren.“