Doris Knecht

Kommentar

Doris Knecht

Eine Rose ist halt kein Baum

Vorarlberg / 14.06.2021 • 15:30 Uhr

Kürzlich habe ich im ORF eine DOK1-Sendung zum Thema „Wald“ gesehen. Ich habe ja so eine Liebe zum Holz in all seinen Aggregatsformen, ich habe nicht zufällig ein Hüsle im Waldviertel. In der Sendung stiefelte Moderator Hanno Settele mit dem Waldspezialisten und Naturfotografen Conrad Amber durch einen wunderschönen Eichenwald in der Nähe des Stifts Altenburg und sie unterhielten sich mit ansteckender Begeisterung über Bäume. Da ist mir auch klar geworden, warum Herr Amber mir einmal einen freundlichen, aber kritischen Leserbrief auf eine VN-Kolumne geschrieben hat, in der ich erzählte, dass ich in meinem Garten eine Trauerweide habe umschneiden lassen. Als ich ihn in dem Wald sah, wie er mit den Bäumen sprach, wurde mir auch klar wieso: Der Mann liebt wirklich jeden einzelnen Baum, und es tut ihm weh um jeden, der gefällt wird.

„Der Mann liebt wirklich jeden einzelnen Baum, und es tut ihm weh um jeden, der gefällt wird.“


Ich habe ihm damals zurückgeschrieben, dass ich den Baum fällen ließ, weil er drohte, beim nächsten Sturm einen großen Ast auf mein Hüsle zu werfen, und es ist halt so, dass mir das Hüsle ein bisschen näher stand als der Baum. Obwohl ich sehr schöne Erinnerungen mit der Weide verknüpfe, weil an einem ihrer Äste hing viele Jahre die Schaukel meiner Kinder. Der Ast brach bei einem Sturm und zermalmte die Biergarten-Garnitur darunter, weshalb ich dem Baum danach nicht mehr traute. Bei Wind durfte kein Kind mehr in den Garten. Der Wind weht oft im Waldviertel.
Ich habe dem Herrn Amber damals auch geschrieben, dass ich noch viele andere Bäume im Garten habe: Zwölf alte Apfelbäume und zwei Birnbäume, und in der Zwischenzeit habe ich auch noch eine Zwetschke gepflanzt. Auch die vielen Flieder- und die Haselnuss-Büsche am Rand meines Gartens haben längst Baum-Ausmaße erreicht, genauso wie die Weidenbüsche unter meinem Garten. Sagen wir so: Auch einer von denen ist kürzlich im Sturm umgefallen und knapp unterhalb meines Gartenzauns zu liegen gekommen, er grünt jetzt in der Horizontale weiter.

Aber in der Abendsonne, die eine Hauswand wärmt, seit die Trauerweide sie mir nicht mehr verschattet, steht jetzt eine Bank, und daneben wächst eine Rambler-Rose mit dem edlen Namen Ghislaine de Feligonde, die nun genug Licht hat, um pfeilschnell dort hinaufzuranken und wie verrückt zu blühen. Ich erzähle das, obwohl mir seit der DOK1-Sendung völlig klar ist, dass eine noch so herrlich blühende Rose das Herz von Conrad Amber einfach nicht so berühren kann wie ein über Jahrzehnte gewachsener Baum. Am Anfang der Sendung erklärte Herr Settele übrigens, dass er den Herrn Amber jetzt duzen wird, weil das unter Vorarlbergern so üblich ist, und auch das fand ich schön.

Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.