Fatma und ihre verlustreiche Vergangenheit

Vorarlberg / 14.06.2021 • 15:00 Uhr
Fatma und ihre verlustreiche Vergangenheit
Fatma hält sich gerne in der Natur auf, am liebsten ist sie in ihrem Gemüsegarten. KUM

Fatma leidet an Depressionen. Im Gemüsegarten erlebt sie glückliche Momente.

Wolfurt Schnecken haben sich an die Kopfsalate herangemacht. Fatma (Name geändert) ärgert sich darüber, freut sich dann aber, dass sie Jungzwiebeln ernten kann. Die türkischstämmige Bregenzerin bewirtschaftet mit ihrer Nachbarin ein Stück Land, das sie vom Obst- und Gartenbauverein Wolfurt gepachtet hat. Die Arbeit im Gemüsegarten bereitet der 52-Jährigen große Freude. Da blüht sie regelrecht auf. „Aus dem, was man einsetzt, entsteht etwas Gutes. Das ist schön“, begründet sie, warum ihr die Arbeit auf dem Feld so gefällt. Außerdem gelingt es ihr beim Gärtnern, ihre Probleme zu vergessen. „Bei dieser Arbeit kann ich alles verdrängen.“

Ihr Gesicht ist halbseitig gelähmt

Wenn sie im Garten ist oder ihre zwei Söhne bei ihr sind, ist Fatma „überglücklich“. Diese Glücksmomente hellen ihren grauen Alltag auf. In Fatmas Leben überwiegen derzeit die düsteren Momente. Denn sie leidet seit Jahren an Depressionen. Als sie sich vom Vater ihrer Kinder scheiden ließ, fiel sie in ein tiefes, dunkles Loch. Aus dem ist sie bis heute nie so richtig herausgekommen.

Es waren immer Verlusterfahrungen, die sie in ein seelisches Tief stürzen ließen. Zuletzt passierte das, als ihr Vater an Kehlkopfkrebs erkrankte und 2018 starb. Sie pflegte ihn acht Monate, bis zu seinem Tod. „Das überforderte mich.“ Sein Siechtum und sein Tod machten sie „ganz fertig“.

„Meine Großeltern trösteten mich, wenn ich gehänselt wurde.“

Fatma

Fatma vermutet, dass ihre Depressionen aus ihrer Kindheit rühren. Sie wuchs bei ihren Großeltern in der Türkei auf. Diese kümmerten sich rührend um ihr ältestes Enkelkind. Ihre Liebe und Fürsorge erleichterten dem Mädchen das Leben. „Sie trösteten mich, wenn ich gehänselt wurde.“ Fatma wurde oft ausgelacht, weil ihr Gesicht nicht so aussah wie das der anderen Kinder. Mit eineinhalb Jahren erkrankte sie an einer Hirnhautentzündung. Seither ist ihr Gesicht halbseitig gelähmt.

Als das Mädchen neun Jahre alt war, holten es seine Eltern – beides Gastarbeiter – nach Österreich. Die abrupte Trennung von seinen geliebten (Groß)Eltern und der Verlust der Heimat waren für das Kind nur schwer zu verkraften. „Die Eltern waren lieb, aber sie waren für mich Fremde.“ Auch mit der fremden Umgebung und der fremden Sprache musste das Mädchen zurande kommen. „Man half mir von allen Seiten. Auch die Eltern waren ständig für mich da. Aber ich habe mich das ganze Jahr auf die Sommerferien gefreut, weil wir dann zu den Großeltern gereist sind“, erzählt die begeisterte Gemüsezüchterin, während sie die Jungzwiebeln schnell in einen Korb schichtet. Über ihr haben sich dunkle Wolken zusammengebraut. Ein Regentropfen huscht wie eine Träne über das Gesicht von Fatma.