VN-Exklusiv: Ersatz für Talent 3 auf Schiene

Statt des Talent 3 wird der erprobte und zugelassene Desiro von Siemens die Lücken im Nahverkehr füllen.
Wien Die Würfel sind gefallen. Seit Mai sind die ÖBB auf der Suche nach Ersatz für den Talent 3 von Bombardier. Gestern hat der Aufsichtsrat entschieden. Nach VN-Informationen werden die Österreichischen Bundesbahnen ihre Nahverkehrszüge nun bei Siemens bestellen. Eine offizielle Bestätigung wird für heute, Dienstag, erwartet. Dann sollen auch Details zur Anschaffung bekannt werden. Notwendig wurde die Neuausschreibung, weil Bombardier für seine Garnituren keine Zulassung erhielt und die 21 Züge für Vorarlberg nicht wie geplant zur Gymnaestrada 2019 liefern konnte.
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Desiro statt Talent
Im Gespräch ist der Desiro ML, der seit dem Sommer 2019 laut Hersteller europaweit erste elektro-hybride Zug mit uneingeschränkter behördlicher Zulassung. Damit gehen die ÖBB nach den Erfahrungen mit Bombardier auf Nummer sicher und setzen auf bekannte Pferde. Denn der Desiro ist bei den ÖBB bereits im Dienst: Seine Fähigkeit, im reinen Batteriemodus ohne externe Stromzufuhr zu fahren, wurde seitdem von den ÖBB im Rahmen des Pilotprojekts “Cityjet eco” bei den ÖBB erprobt. Der Desiro ist damit diensterprobt und zugelassen, die ersten Garnituren könnten laut bisherigen Informationen innerhalb eines Jahres geliefert werden. 21 der Garnituren ersetzen den für Vorarlberg vorgesehenen Talent 3, auf den das Land seit 2019 wartet. Das Land setzt hier wohl auf die lange Version, welche mehr Platz für Fahrräder und Wintersportausrüstung bietet, so wie der Talent 3 es sollte.

Die Langversion bietet rund 300 Sitzplätze. Siemens
Eine weitere Ausschreibung vom Juli, die als Ersatz für den Bombardier-Auftrag verstanden werden könnte, zielt darauf ab, möglichst wenig Unsicherheiten zuzulassen: So mussten die angebotenen Garniturmodelle in Europa seit zwei Jahren zugelassen und im Einsatz sein. Prototypen wollte man nicht in Betracht ziehen, vielmehr war man nur an Serien interessiert, die bereits mindestens 100 Garnituren umfassen. Gegenüber dem Vertrag mit Bombardier wurde auch der zukünftige Bedarf aufgestockt. Es geht in einer weiteren Ausschreibung um bis zu 270 Elektrotriebzüge mit 75 Metern Länge und 270 Stück mit einer Länge von hundert Metern.
Millionenschaden für ÖBB
2016 hatte Siemens bereits den Zuschlag der ÖBB als Lieferant für neue S-Bahnen in Aussicht, das Land Vorarlberg hatte jedoch während der Verhandlungen um den aktuellen Verkehrsdienstevertrag andere Ansprüche und sah Einsparungspotenzial bei den Konditionen (siehe Chronologie). Bei der darauf folgenden Neuausschreibung machte damals Bombardier das Rennen, in einer ersten Charge wurden 46 Zuggarnituren für Tirol und Vorarlberg bestellt. Das Ergebnis ist bekannt: anhaltende Verzögerungen, technologische Schwierigkeiten und das Ende des gut einjährigen Testbetriebes auf Österreichs Schienennetz im vergangenen März ohne Zulassung.

Variabler Mehrzweckbereich im Zug.Siemens
Die Partnerschaft mit Bombardier, seit 2020 Teil der kanadischen Alstom-Gruppe, geht damit endgültig in die Scheidungsphase über: Es geht um Schadenersatzforderungen um nicht eingehaltene Verträge. Bereits jetzt erhalten das Land und die ÖBB Pönalzahlungen in unbekannter Höhe für die nicht gelieferten Garnituren und die damit verbundenen Mehrkosten. Schließlich mussten die ÖBB den Vertrag mit Vorarlberg trotz fehlender Garnituren einhalten. “Dafür wollen wir Schadenersatz. Es geht dabei um mehrere Millionen Euro”, erklärte ÖBB-Vorstandsvorsitzender Andreas Matthä erst im Jänner noch den VN.
Die Chronologie
2016: Die Verhandlungen am gemeinsamen Verkehrsdienstevertrag mit Bund und ÖBB führen zu einer Neuausschreibung für die neue S-Bahn. Das Land sieht Einsparungspotenzial bei den Konditionen und wünscht sich längere Züge mit Raum für Fahrräder und Skiausrüstung. Die ÖBB ortet aber wenig Entgegenkommen bei Stammlieferant Siemens. Der Auftrag für bis zu 300 S-Bahnen, 21 dafür für Vorarlberg, wird neu ausgeschrieben.
September 2016: Bombadier bekommt den Zuschlag für die Lieferung von bis zu 300 Nahverkehrszügen an die ÖBB. Der Wert des Vertrags wird auf 1,8 Milliarden Euro geschätzt. 21 Garnituren sind für Vorarlberg geplant und sollen zur Gymnaestrada 2019 geliefert werden. Der Zeitplan gilt als mehr als nur ambitioniert, der Zug ist eine Neuentwicklung. Mitbieter Stadler Rail blitzt im Dezember mit einer Beschwerde ab.
September 2017: Bombardier feiert die Geburtsstunde des Talent 3, im Berliner Werk beginnt die Endmontage der ersten Zuggarnitur und wird medienwirksam präsentiert.
September 2018: Der Talent 3 wird auf der Innotrans vorgestellt, die ersten sechs Garnituren für Vorarlberg seien quasi fertig.
November 2018: Der Verkehrsdienstevertrag mit Bund und ÖBB ist unterschrieben und bestätigt, dass Vorarlberg 21 Garnituren des Talent 3 erhalten soll.
Frühjahr 2019: Der Liefertermin hält nicht, im März trifft die erste Garnitur in Österreich ein für die Erprobung. Im Juli wird diese groß am Bahnhof Dornbirn präsentiert.
Dezember 2020: Es fehlen weiterhin Bauartgenehmigung und Betriebsbewilligung. Schuld sei das neue Eisenbahnpaket der EU, Bombardier scheitert vor allen an der Software für den Talent 3. Im Saarland ist eine bauähnliche Version des Talent 3 derweil im Planbetrieb. Derweil wird die Übernahme von Bombardier durch Alstom fixiert, der Talent 3 soll an die Konkurrenz verkauft werden. Die ÖBB schreiben zumindest 100 der bestellten 300 Garnituren neu aus.
März 2021: Die Testgarnituren des Talent 3 verlassen Vorarlberg in Richtung Bombardier. Die ÖBB setzen eine Frist bis Jahresmitte, dann soll ein Alternativanbieter gesucht werden.
Mai 2021: Die Neubeschaffung der im Dezember 2020 ausgeschriebenen Züge wird vom Aufsichtsrat genehmigt. Eine Zulassung für den Talent 3 scheint in weiter Ferne. Im Gespräch als Lieferant ist wieder Siemens mit dem Desiro. Dieser ist mit einer neuen 100-Meter-Variante im Rennen, die Rücksicht auf die Vorarlberger Wünsche im Bereich Rad- und Ski-Mitnahme nimmt.