„ So … so …“
„So“, sprach die betagte Ehefrau zu ihrem auf dem Kanapee an ihrer Seite sitzenden greisen Mann. Dieser nahm die das Schweigen unterbrechende Äußerung nicht uninteressiert auf und schien gründlich nachzudenken, ehe er nach beträchtlicher Pause erwiderte: „Soso“. Im Lauf des noch nicht von Fernseher , Computer und Handy bestimmten Abends wiederholte sich dieser Wortwechsel, mit dem offensichtlich alles noch zu Sagende gesagt wurde, ein paarmal. Im Kindesalter öfters Zeuge solcher Dispute meiner Großeltern, wurden mir Vielfältigkeit und Ausdrucksstärke des scheinbar unbedeutenden Füll- und Verlegenheitswort „so“ erstmals richtig bewusst. Doch hört man heute bei Talkrunden und Politdiskussionen gezielt darauf, wird schnell klar, dass das Wörtchen im Medienzeitalter nichts von seiner Bedeutung verloren, sondern – ganz im Gegenteil – als rhetorisches Mittel an Wichtigkeit gewonnen hat.
„Damit bestätigt er sich selbst die Stimmigkeit und Brillanz seiner Argumentation.“
Will ein eifriger Redner seine Argumente unterstreichen, sagt er, meist mit entschlossenem Aufrichten des Oberkörpers oder lehrmeisterlichem Erheben des Zeigefingers, in scharfem Ton: „So“. Damit bestätigt er sich selbst die Stimmigkeit und Brillanz seiner Argumentation und stellt den Zuhörern klar, dass es darüber nichts mehr zu diskutieren gibt. Er macht mit „so“ in seinem Redefluss gleichsam einen Absatz und holt Luft für weitere Ergüsse. „So“ lässt sich bilanzierend, anordnend, tadelnd oder fragend einsetzen. „Soso“ klingt zweiflerisch, „achso“ erstaunt, „ebenso“ eher langweilig. Durch „so“ stellt man Vergleiche an, mit langgestrecktem „sooo …“ untermauert man Übertreibungen. Mit „so“ kann man – je nach Tonlage – Sachlichkeit einfordern, Beruhigung vermitteln oder Schweigen gebieten. So!
Diese zugegebenermaßen nicht gerade weltbewegenden Überlegungen zum Wörtchen „so“ sind nicht despektierlich gemeint. Vielmehr kann ein Achten auf den meist überhörten Einsilber den Unterhaltungswert von Diskussionen für die Zuhörer deutlich erhöhen. Auch soll man sich nicht scheuen, das Wörtchen „so“ im eigenen rhetorischen Repertoire richtig einzusetzen. Denn mit Ausnahme des ebenfalls nur aus 2 Buchstaben bestehenden „ja“ hat kein anderes Kurzwort eine derart erstaunliche Wirkkraft. „Soso“ werden Sie sich denken.
Kurz vor dem Zubettgehen erreichte das allabendliche Zwiegespräch des alten Ehepaares mit gleich fünfmaliger Wiederholung des „So- Begriffes“ den dramatischen Höhepunkt: „So, so“ meinte die Frau. Darauf ihr Gatte, wiederum nach längerem Überlegen: „Soso, so sagst du!“
Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut
und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.
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