Contergan: Das Schicksal eines Opfers aus Vorarlberg

Brigitte Weiss-Madlener (59) wurde mit Fehlbildungen geboren. Dennoch meistert die Dornbirnerin ihr Leben mit Bravour.
Dornbirn Brigitte Weiss-Madlener (59) kam mit missgebildeten Armen und Händen zur Welt. Ihre Mutter hatte in der Schwangerschaft eine Softenon-Tablette eingenommen. In Deutschland wurde dieses Beruhigungs- und Schlafmittel Ende der 50er-Jahre unter dem Namen Contergan verkauft. Es führte zu schweren Schädigungen am ungeborenen Embryo.
Brigitte erinnert sich an eine wohlbehütete Kindheit. „Man sah mich zu Hause als ein ganz normales Kind an, dem man ab und zu behilflich sein musste.“ Ihr Handicap war in der Familie kein Thema. „Aber einmal sah ich meine Mutter weinen, weil sie mitbekam, wie schwer ich mir beim Binden der Schuhe tat.“

Ab und zu kam bei dem Kind die Frage auf: „Wieso habe ich kurze Arme?“ Die kleine Brigitte machte sich ihren eigenen Reim darauf. „Ich glaubte, dass ein Fuchs sie mir abgebissen hat.“ Manchmal bemühte sich das Mädchen besonders brav zu sein, „weil ich dachte, dass ich dann am nächsten Tag lange Arme hätte“.
Im Kindergartenalter verbrachte Brigitte ein halbes Jahr in einer Einrichtung in Frankfurt, in der contergangeschädigten Kindern Selbstständigkeit antrainiert wurde. „Ich sah die Kinder und dachte mir: ,Sind die arm.‘“ Sich selbst betrachtete sie mit anderen Augen. „Ich sah mich nicht als ein Mensch mit Behinderung.“
“Dachte, dass ich keinen Mann finde”
In der Pubertät haderte Brigitte aber mit ihrem Schicksal. „Als Teenager dachte ich mir: ,Du findest keinen Mann.‘“ Die trübe Stimmung hielt jedoch nie lange an. Denn Brigitte hatte ein gutes Umfeld: Eltern und zwei Schwestern, die sie liebten, eine Freundin, mit der sie viel unternahm und einen Dackel, der sie über 17 Jahre begleitete. Außerdem war sie mit 14 dem Versehrtensportverein beigetreten.
Skifahren wurde zu ihrem Steckenpferd. Regelmäßiges Training und Talent brachten die Versehrtensportlerin weit. Sie wurde nicht nur mehrfache Staatsmeisterin, sondern sogar zweifache Olympiasiegerin und Weltmeisterin. „Ich war bei jedem Rennen sehr nervös. Jedes Mal schwor ich mir: ,Das ist das letzte Rennen, das du fährst.“ Durch den Sport lernte sie nicht nur fremde Länder und interessante Menschen kennen wie etwa Königin Silvia von Schweden, durch ihn gewann sie auch viel Selbstvertrauen.

Auch beruflich ging Brigitte selbstbewusst ihren Weg. Sie absolvierte mit Erfolg eine Lehre zur Fotogravur-Zeichnerin. Die junge Frau ergriff diesen Beruf, „weil ich schon immer gerne gemalt habe“. Die Landschaftsbilder, die in ihrem Wohnzimmer an der Wand hängen, stammen von ihr und zeugen von großem Können.
Mit 18 machte die Dornbirnerin den Führerschein mit einer „Ente“, die eigens für sie umgebaut worden war. Mit 19 lernte sie in der Disco Werner kennen, ihre Lebensliebe. „Wir kamen an der Bar ins Gespräch. Brigitte ärgerte sich, dass sie niemanden zum Tanzen hatte. Da habe ich sie zum Tanz aufgefordert“, erzählt Werner, der Mann, der seit mittlerweile mehr als 40 Jahren an ihrer Seite ist. Werner registrierte damals zwar Brigittes Handicap, störte sich aber in keinster Weise daran.
“Als Teenager dachte ich mir: ,Du findest keinen Mann.'”
Brigitte Weiss-Madlener, Contergan-Opfer
Das Paar heiratete und bekam drei Kinder. Dass alle drei gesund auf die Welt kamen, empfanden die Eltern als großes Geschenk. Als Brigitte Mutter wurde, gab sie die Arbeit und den Sport auf. Rückenschmerzen zwangen sie schließlich in die Invalidenpension.
Inzwischen sind die Kinder erwachsen und Brigitte und Werner Großeltern von fünf Enkeln, mit denen sie viel Spaß haben. Aber auch miteinander hat das Ehepaar viel Freude. „Wir gehen gemeinsam spazieren, wandern, rodeln und Motorrad fahren.“ Besonders Brigitte ist es wichtig, in Bewegung zu bleiben. „Sonst wird mein Körper steif.“ Deshalb bedeutet ihr auch der wöchentliche Turnabend in der Landessportschule, den sie leitet, viel.

Die Dornbirnerin, die im Jahr 2018 eine Krebserkrankung überstand, findet “das Leben mit seinen Auf und Abs” lebenswert. Morgens freut sie sich auf den Kaffee und darüber, dass sie gesund aufstehen kann. „Als Erstes sage ich zu meinem Schutzengel auf dem Nachttischkästchen: ,Hab’ ein Auge auf uns.‘ Abends danke ich Gott für den guten und schönen Tag.“ Aus ihrem Glauben schöpft Brigitte Kraft fürs Leben.