Krieg – der Vater des Bösen
Schockiert, fassungslos und verängstigt müssen wir erkennen, dass es in unserer so fortschrittlichen Zeit in dem so hochkultivierten Europa nach einer langen, scheinbar ewig geltenden Phase des Friedens wieder Krieg gibt.
Die meisten von uns haben nach dem 2. Weltkrieg an den definitiven Sieg des Guten in der zivilisierten Welt geglaubt und das Böse im Menschen wohl unterschätzt.
Kaum jemand hat einen Rückfall vollsinniger und gebildeter Menschen auf die primitive Stufe kriegerischer Auseinandersetzungen mehr für möglich gehalten. Große Denker haben aber stets vor der Permanenz des Bösen und der Gefahr seiner Verdichtung durch den Krieg gewarnt. Albert Einstein etwa schrieb in einem Brief an Sigmund Freud: „Im Menschen lebt ein Bedürfnis, zu hassen und zu vernichten. Diese Anlage ist in gewöhnlichen Zeiten latent vorhanden, kann aber leicht geweckt und zur Massenpsychose werden.“
„Der Krieg enthält den Code des Bösen in vollem Umfang. Gesteuert von einer bösen Idee, wird menschliches Mitgefühl völlig ausgeschaltet.“
Der Krieg enthält den Code des Bösen in vollem Umfang. Gesteuert von einer bösen Idee, wird menschliches Mitgefühl völlig ausgeschaltet und die ganze Kraft auf Zerstörung fokussiert. Im Krieg, der immer mit Misshandlung, Folter, Vergewaltigung und Gräueltat verbunden ist, werden Moralinstinkt und natürliche Hemmschwelle ausgeschaltet. Er ist Spielwiese für Psychopathen, Sadisten, Terroristen und andere üble Gesellen. Im Krieg werden die Opfer entmenschlicht, indem tote Kinder oder zerfetzte Zivilisten zu Kollateralschäden erklärt werden. Jeder Krieg setzt mörderische Kräfte frei, eine durch und durch zerstörerische Energie, die der Mensch sonst unterdrücken kann, aber offensichtlich stets in sich trägt. Nein, am Krieg kann man nichts Gutes finden. Jeder, der ihn entfacht, handelt gegen die Menschlichkeit.
„Der Mensch ist das einzige Tier, das seine Destruktionen irrational einsetzt“, lautet ein berühmtes Wort, das dem Psychoanalytiker Erich Fromm zugeschrieben wird. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass Tiere ihre Aggressionen ausschließlich zur Selbsterhaltung und zum Überleben einsetzen. Der Mensch hingegen lässt sich durch ganz andere Motive zum Bösen anstiften. Durch Neid, Gier, Eifersucht, Hass und böse Ideen. Zu Recht wird deshalb die Frage gestellt, wie es um die Psyche der Kriegstreiber bestellt sei und wie sie es schaffen, die Bilder flüchtender und sterbender Menschen ungerührt zur Kenntnis zu nehmen und die Schuld an all dem Elend zu tragen. Kann ein normales Gehirn solches Leid tatsächlich ersinnen und verarbeiten? Doch dazu das nächste Mal.
Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut
und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.
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