Demut und Respekt

Vorarlberg / 14.04.2022 • 11:00 Uhr
Demut und Respekt
Über 700 Jahre alt ist diese kleine Malerei, die ursprünglich zusammen mit anderen Fragmenten den Buchstaben „I“ ergab auf der Seite 87 eines prachtvollen Choralbuchs. Geschrieben wurde es um 1312 im damaligen Dominikanerinnenkloster St. Katharinental in Diessenhofen im Kanton Thurgau. Im 19. Jahrhundert wurde das Blatt aus dem Graduale gerissen und die Medaillons wurden einzeln verkauft. Sieben dieser Buchmalereien existieren bis heute. Sie werden in Nürnberg, Zürich und Frankfurt verwahrt. Das Bild des letzten Abendmahls gehört der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Gottfried Keller-Stiftung und dem Kanton Thurgau. St. Galler Stiftsbibliothek; Karfut; Jens Piske

Ein Zeichen, wie wir miteinander umgehen sollen.

Schwarzach Ostern verdichtet die christliche Botschaft in drei Tagen. Die Geschichte beginnt heute, am Gründonnerstag. Alle vier Evangelisten beschreiben das Abschiedsessen des Jesus von Nazareth mit seinen Freunden in Jerusalem. Johannes beginnt seine Erzählung mit dem Satz: „Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen.“ Er weiß also, dass er sterben wird.

Demut und Respekt
„Pysanky“ nennen die Ukrainer ihre künstlich bemalten Ostereier. Sie sind wahre Meisterwerke. Die Legende besagt zudem, dass die Welt solange bestehen bleibt und das Gute über das Böse triumphiert, solange ukrainische Frauen und Mädchen jedes Jahr Pysanky gestalten. Wunderschöne Beispiele, die Chefredakteur Jens Piske aus dem zentralukrainischen Dorf Sahunivka für uns fotografiert hat, begleiten deshalb die religiöse Berichterstattung der VN in der Karwoche, als Zeichen der Hoffnung, dass nicht der Tod die Oberhand behält.

So erinnert der Gründonnerstag an viele Abschiedsszenen, an die Unbeholfenheit, die Sprachlosigkeit und die Zärtlichkeit, die ihr innewohnt. An der Grenze zur Ukraine haben Kameras solche Bilder wieder und wieder eingefangen. Auch Nataliya Karfut (40) ist von Mutter und Schwester getrennt. Sie stammt aus dem Dorf Bronytsya nahe Lviv (Lemberg). In Lviv, Freiburg und Rom hat sie katholische Theologie studiert. Gerade promoviert sie in Salzburg. Nataliya Karfut ist griechisch-katholisch und Spezialistin in byzantinischer Theologie. Sie lebt mit ihrem Mann Mario Galgano und ihrer Tochter in Rom.

Demut und Respekt
Nataliya Karfut: „All das Leid, das angetan wurde, muss gesagt werden.“

Das letzte Abendmahl wirkt wie ein Sinnbild so vieler möglicherweise letzter Treffen im Familienkreis mit ungewissem Ausgang. Was klingt in Ihnen an, wenn Sie heuer diesen Tag begehen?
Das Letzte Abendmahl ist kein „normales“ oder „einfaches“ Treffen und auch kein gewöhnliches Abendessen. Das Letzte Abendmahl ist das Pessach-Fest. Es ist die Erinnerung an die Befreiung des Volkes Israels durch Gott aus der ägyptischen Gefangenschaft. Das ist auch die Feier des Neuen Bundes, den Gott mit seinem Volk geschlossen hat. Gott hat dem Volk versprochen, immer bei ihnen zu sein. Beim Letzten Abendmahl versammelt sich Jesus mit seinen Jüngern. Sie sprechen miteinander und fühlen sich verbunden. Die Jünger verstehen jedoch nicht ganz genau, was sie erwartet. Wenn wir jetzt an die ukrainischen Familien denken, dann geht es wohl vielen so. Sie werden sich an ihre letzte gemeinsame Mahlzeit mit der Familie erinnern, wie sie zusammen an einem Tisch gesessen sind. Viele werden Ostern feiern, doch es werden Familienmitglieder fehlen, weil sie flüchten mussten oder weil sie nicht mehr am Leben sind. Das wird ein trauriges Osterfest sein.

Die Feier der Abendmahls mit dem Demutsakt der Fußwaschung atmet Versöhnung.
An Gründonnerstag wäscht Jesus seinen Jüngern die Füße. Das ist für mich ein Zeichen der Demut, aber auch ein Zeichen, wie wir miteinander umgehen sollten. Jesus sagte, er sei nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen. Und so sollten wir auch unter uns handeln, sagt Jesus. Es geht nicht darum, dass einer den anderen dominiert und über ihn entscheidet. Es geht um den gegenseitigen Respekt und Demut.

Irgendwann wird dieser Krieg zu Ende sein. Dann werden Russen und Ukrainer noch immer nebeneinander leben. Wie kann nach allem, was geschehen ist, Versöhnung gelingen?
Irgendwann wird der Krieg in der Ukraine zu Ende sein. Viele fragen sich, wie das Leben dann weiter geht. Das Leben soll weiter gehen. Wir wollen den Frieden. Doch es kann keinen Frieden ohne Gerechtigkeit geben. Das ukrainische Volk will Gerechtigkeit. Das ist die Basis für eine wahre Versöhnung. Gerechtigkeit und Wahrheit müssen klar benannt werden. All das Leid, das angetan wurde, muss gesagt werden. Nur auf diesem Fundament kann eine richtige Versöhnung stattfinden. Das ukrainische Volk hat schon Erfahrung der Versöhnung mit dem polnischen Volk. Es gab Zeiten, da war das Verhältnis zwischen dem ukrainischen und dem polnischen Volk sehr angespannt. Es kam zu Tragödien auf beiden Seiten, aber heute sehen wir, wie stark sich das polnische Volk mit den Ukrainern solidarisch zeigt.

Welches Modell von Zukunft ist in Ihren Augen denkbar?
Eine Zukunft ist nur dann möglich, wenn sich alle gegenseitig anerkennen, respektieren und nicht versuchen, über den anderen zu herrschen. Nur so ist eine Zukunft möglich.