Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Schwierige Verhältnisse

Vorarlberg / 09.11.2022 • 06:30 Uhr

Verhältnisse Geschichte in zehn Teilen. Teil 7

Es roch nach Schnee, obwohl erst Oktober war. Luise und Andi froren. Sie hatte ihre linke Hand in seinem Parka vergraben.
„Meine Oma“, sagte Andi, „wohnt allein in der Schillerstraße, wir könnten uns bei ihr aufwärmen.“
Woran lag es, dass es hier so gemütlich war? Das Inventar abgelebt, die Wände abgelebt, nichts Neues gab es. Selbst die Oma sah aus, wie sie Andi von seinem Anfang an in Erinnerung hatte. Ordentlich frisiert, auch wenn sie zu Hause war, Rock und Bluse. Sie brachte ihnen Tee, schaute Luise in die Augen und sagte: „Dir sieht man an, dass du ein gutes Mädchen bist.“
„Die Zuckerdose mit diesem Cut am Schnabel, daran erinnere ich mich“, sagte Andi.

„Schließlich lässt man seine Mutter nicht im Unglück allein. Ihr solltet sie einmal besuchen.“

Die Oma sagte: „Das ist eigentlich ein Milchkännchen. Änderungen sind meistens nicht gut. Zum Beispiel das mit deiner Mama, Andi! Lässt euch einfach im Stich! Wahrscheinlich bin ich schuld. Ich hab’ ihr alles durchgehen lassen. Sie war so temperamentvoll. Aber weißt du, Andi, als dein Opa gestorben ist, da hab’ ich eben nur mehr sie gehabt. Ich weiß nicht einmal, wo sie jetzt wohnt. Weißt du es?“
Sie wartete die Antwort nicht ab, redete weiter:
„Hat sich nie mehr gemeldet bei mir. Anscheinend war sie einmal bei der Uroma im Altersheim. Die hat ihr wahrscheinlich Geld gegeben. Die hat ja immer Geld in ihrer Schulblade, lässt sich das von einem Bankangestellten bringen. Den ruft sie an, er besucht sie und hat Geld von ihrem Konto dabei. Sie nimmt Hunderter, Fünfziger, Zwanziger, Zehner und Fünfer. Die Zehner und Fünfer gibt sie dem Personal. Mir will sie auch Geld geben. Ich weiß gar nicht, wieviel sie besitzt, aber ich glaube, da gibt es noch Einiges, sie hat zwar nie gespart, aber ihr Freund vererbte ihr sein Vermögen. Er hat diese Galerie besessen, die da neben der Gärtnerei. Sie hat sich immer für Kunst interessiert, deine Uroma, und so sind sich die beiden nahe gekommen. Sie waren auf den Monat gleich alt. Er ist bei einem Zugunglück in Frankreich gestorben. Sie war dabei, aber ihr ist nichts passiert. Sie hat die Galerie verkauft und sich dann einen teuren Alterssitz gesucht. Ich hab’ das gar nicht verstanden, sie hätte bei mir wohnen können. Schließlich lässt man seine Mutter nicht im Unglück allein. Ihr solltet sie einmal besuchen. Ich lass euch jetzt allein. Wenn ihr geht, legt den Schlüssel in den Blumentopf.“
Andi zog die gelben Vorhänge vor, warf die vielen Zierkissen vom Sofa und breitete die Decke aus.
„Komm, Luise“, sagte er „fangen wir an. Leg dich zu mir.“
Sie waren zärtlich zueinander.

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.