Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

4000 Gipfelkreuze

Vorarlberg / 06.07.2023 • 20:22 Uhr

Eine lustige Sommerloch-Diskussion ist aus Italien nach Österreich geschwappt: Haben wir zu viele Gipfelkreuze? Sollen oder dürfen überhaupt noch solche Bauwerke aufgestellt werden? Oder verstoßen sie womöglich gegen die religiöse Neutralität der Alpen?

Im Gegensatz zu seinem italienischen Pendant will der österreichische Alpenverein die Gipfelkreuze (offenbar um 4000 in ganz Österreich) bestehen lassen, aber neue sollen keine errichtet werden. Dieser Position lässt sich einiges abgewinnen: Wer einen Gipfel besteigt, will die Erhabenheit der Bergwelt genießen, das Kreuz ist oft Ansporn und ein schönes Fotomotiv. Aber nicht jede Erhebung benötigt ein solches Symbol. Ein schönes Steinmännchen reicht auch.

Gerne wird auf die vermeintlich uralte Tradition der Gipfelkreuze verwiesen. Wie viele andere Bräuche ist aber auch diese Gepflogenheit viel weniger alt als häufig vermutet. Die Bauern in früherer Zeit mögen tief religiös gewesen sein, sie hatten aber keine Zeit, um die Berge zu besteigen. Und selbst wenn sie, vielleicht als Jäger oder Wilderer, einen Gipfel erklommen, wäre ihnen nicht eingefallen, ein Kreuz auf den Berg zu schleppen. Das Kreuz stand dort, wo es gebraucht wurde, vor dem Alpgebäude, um Mensch und Tier zu schützen, oder am Rand des oft beschwerlichen und gefährlichen Weges, aber nicht auf dem Gipfel.

Als das Bürgertum im 19. Jahrhundert die Berge entdeckte, kamen auch diese Leute nicht auf den Gedanken, Kreuze aufzustellen, zumal es so gut wie keine technischen Hilfsmittel gab. Ganz abgesehen davon waren die Bürgerlichen, ob sie nun liberal oder national gesinnt sein mochten, in der Tendenz antiklerikal eingestellt.

In Mode kamen Gipfelkreuze erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie symbolisierten damals einen selbstbewussten, zuweilen auch aggressiven Katholizismus. Die katholischen Jugendorganisationen, die bei uns das eine oder andere Gipfelkreuz, wie zum Beispiel auf dem Piz Buin, aufstellten, sahen sich schon bald von den Nazis für ihre Gesinnung verhöhnt. Unter deren Regime wurde das heimliche Aufstellen von Gipfelkreuzen sogar ein Akt des Widerstands.

Nach 1945 kam der große Boom, den Hochgerach etwa schmücken gleich zwei Kreuze: eines für die Laternser, eines für den Walgau. Die christliche Symbolik ist inzwischen völlig in den Hintergrund getreten, so wie beim Kreuz im Klassenzimmer, das der Verfassungsgerichtshof in einer weisen Entscheidung als Symbol des Abendlandes, weitgehend losgelöst von einem religiösen Hintergrund, betrachtet hat. Wir können also völlig entspannt dieses schöne Sommerthema diskutieren.

„Wer einen Gipfel besteigt, will die Erhabenheit der Bergwelt genießen, das Kreuz ist oft Ansporn und ein schönes Fotomotiv.“

Peter Bussjäger

peter.bussjaeger@vn.at

Peter Bußjäger ist Direktor des ­Instituts für Föderalismus und ­Universitätsprofessor in Innsbruck.