Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Das Alter der Frauen

Vorarlberg / 01.08.2023 • 13:25 Uhr

„Bis siebzig sind sie alle noch Mädchen“, sagte der greise Mann, man nannte ihn „ein Haus“, das sollte heißen, er sei originell und die Worte lägen ihm lose auf der Zunge. Er meinte es gut. Dachte nicht daran, dass die Frauen über siebzig in seinem Kopf nicht mehr existierten. Das sind die Mütter, Großmütter, Urgroßmütter und die Übriggebliebenen.
Warum machen sich Frauen jünger, verändern ihr Geburtsdatum, glauben, ihre Chancen – welche auch immer – seien größer, wenn sie als jung gelten, wo sie es doch nicht sind? Bist du noch nicht verheiratet, hast du keine Kinder? Wie geht deine Karriere voran? Irgendwann ist es zu spät. Zu spät wofür?
Eine Bekannte erzählte mir, sie habe sich mit Mitte sechzig verliebt, der Mann sei zehn Jahre jünger gewesen, aber es hätte gut gepasst. Sie hat ihm nicht gesagt, dass sie in Pension ist. Er hätte dann gewusst, wie alt sie ist. Also musste sie ihre Biografie ein wenig ändern, sie arbeite in Teilzeit, könne sich das Leben einteilen. Auf einer Reise sah er in ihrem Pass ihr Geburtsdatum. Sie bildete sich ein, dass ihn das schockierte. Sie verließ ihn, und er wusste nicht warum. Früher redete man von den ewig Neununddreißigjährigen.
Zwei Freundinnen lernen in einem Club zwei Männer kennen. „Warum hast du dich jünger gemacht, als du bist?“, fragt die eine, und die andere sagt: „Ich wollte auf keinen Fall älter sein als er.“ – „Und wenn er dir draufkommt?“ – „Ach was“, könnte die eine sagen, „wenn er in mich verliebt ist, vergisst er alles, auch das.“
Fragt eine Frau einen Mann nach seinem Alter, wird er sagen: „Wie alt schätzen Sie mich?“ Das sollte heißen: Nennen Sie mir eine freundliche Zahl, und daraus wird ein Kompliment. Frauen nach ihrem Alter zu fragen, sei unhöflich. „So um die sechzig, aber sie sieht viel jünger aus.“ Sähe sie aus wie sechzig, wäre sie dann weniger wert?
Irgendwann kommt das Alter zu einem Punkt, wo man sich davor verneigt, ab neunzig, würde ich sagen. Sieht man eine Frau, die man lange nicht gesehen hat, auf ihrem Stock um das Haus gehen, wundert man sich, dass sie noch nicht gestorben ist. Ist sie hundert, kommt der Bürgermeister.
„Soll Ihr Alter angegeben werden?“, wurde eine Journalistin gefragt. Sie hatte einen Artikel über Schönheit geschrieben.

„Irgendwann kommt das Alter zu einem Punkt, wo man sich davor verneigt, ab neunzig, würde ich sagen.“

Muss man schön sein. Das klingt oberflächlich, ist es aber nicht. Mein Mann besitzt ein T-Shirt, darauf steht: „Schönsein genügt.“ Lebt eine Frau in einer Familie und kann für alle da sein, ist also nützlich, dann hat sie ihr Ziel erreicht. „Und sonst haben Sie keine Sorgen?“, wurde gefragt. Die eine Sorge verbirgt die andere, hat man kein Geld, leidet das Leben. Wird man nicht geliebt, darf man hassen. Geht die Welt unter, verschwindet das Große, und nur die winzigen hässlichen Tiere werden überleben.