Blind schreiben
ASDFJKLÖ – das konnte ich blind auf meiner Schreibmaschine. Ich war in der Klosterschule, und Schwester Amatha, meine Lehrerin, war zufrieden mit mir. Bei der Schularbeit mussten wir eine Tafel um den Hals hängen, so dass das Tastenfeld verdeckt war.
Stenografie liebte ich, war darin gut und schrieb auch später noch Steno, wenn es schnell gehen musste.
Ich schrieb brav meine Schularbeit, hatte aber meinen rechten Zeigefinger statt auf dem J auf das H gesetzt, und so war meine Arbeit total daneben. Tatsächlich daneben nämlich. Schwester Amatha machte sich die Mühe und ging meiner falschen Eingabe nach, sah, dass ich nicht geschwindelt hatte und gab mir einen Einser. Das imponierte mir. Stenografie liebte ich, war darin gut und schrieb auch später noch Steno, wenn es schnell gehen musste.
Manche Dinge verlernt man nicht, manche Dinge vergisst man nicht.
Mein Bruder hat gern den Blinden gespielt, so aus Jux. Er hat die Hand vorgehalten und ihm wurden Plätze frei gemacht, bei den Kassen ließ man ihn vor. Einmal sagte eine Frau, die uns kannte zu der Kassiererin: „Dieser Bub ist nicht blind, der macht nur Theater.“ Viele Leute standen im Geschäft und es gab einen kurzen Aufruhr. Ich stand in der Schlange und schaute nur. Mein Bruder war verschwunden, hatte sich dünn gemacht, wie er sagte.
Sich Vorteile verschaffen, das war eine Kunst, die ich nicht konnte. Eine aus meiner Klasse war darin perfekt. Kam sie zu spät, was oft der Fall war, ließ sie eine echte Träne aus den Augen rinnen und sagte, ihre Mama hätte heute wieder einmal ihre Migräne. Erfunden. Ich wusste das, weil ich ihre Mutter kannte, eine fröhliche Frau, die viel im Garten werkelte und dabei sang. Der Lehrer hatte Mitleid. Sie wurde nicht geprüft. Oft fragte er sie, wie geht es deiner Mutter mit ihrer Migräne. Er brachte ihr einen Zettel, darauf stand ein lateinischer Name, ein Medikament, das Beste gegen Migräne, rezeptpflichtig. Er nannte auch einen guten Arzt. Bei einem Elternsprechtag traf die fröhliche Mutter auf den Mathelehrer und wurde gefragt, ob ihr das Medikament denn nütze.
„Das Medikament?“, fragte die Mutter. Sie wusste nicht, wovon er sprach. Es war peinlich und sie lavierte herum, um ihre Tochter nicht als Lügnerin dastehen zu lassen. Sie wusste ja, wie gern ihr Kind flunkerte. Da musste ein ernstes Wörtchen folgen.
Dem Lehrer war das nicht geheuer. Fortan ließ er sich nicht mehr beeindrucken und er mied meine Mitschülerin. Ihre Noten verschlechterten sich und sie sagte mir, sie hasse den Lehrer und sie werde es ihm heimzahlen.
„Wie denn?“, fragte ich.
Bald hatte der Lehrer seine Aktentasche mit all seinen persönlichen Dingen verloren. Darauf hektisches Treiben, böse Vermutungen in der Klasse. Die Putzfrau fand die Aktentasche hinter einer Mädchentoilette.
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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