Wissenschaftsfeinde

Vorarlberg / 16.08.2023 • 14:40 Uhr
Wissenschaftsfeinde

Frau Ammann hält viel vom Hausverstand, aber sie würde sich nie zur Behauptung versteigen, er könne sich besserwisserisch über wissenschaftliche Evidenz erheben. Deshalb stupft sie mir immer wieder in die Seite, um wieder mal der Wissenschaft das Wort zu geben. Unsere Zeit und ihr Bedrohungsszenario sind komplex und „nachhaltig“ wie selten zuvor. Kriegsfolgen, Inflation, Migration, Klimawandel – hartnäckige Probleme, die unsere Vernunft auf die Probe stellen. Eigentlich würde man in einem derart strapazierten Umfeld eine große Sehnsucht nach fachkundlicher Einordnung erwarten, also nach der Kompetenz von Menschen, die sich seit Jahrzehnten dieser Themen annehmen.

Skepsis

In Österreich aber ist das Gegenteil der Fall. Viele glauben lieber denen, die beruhigende Geschichten erzählen: „Wärme und Kältezeiten hat’s doch immer schon gegeben“ usw. – das stimmt schon, aber seit der industriellen Revolution ließen neue Technologien die Menschen an Rädern drehen, die den Wärmehaushalt des Planeten so empfindlich verändern können, dass es einst kein Zurück mehr gibt. Viele wollen’s noch nicht glauben.
Die jüngste Eurobarometer-Studie weist uns als das Land mit der größten Wissenschaftsskepsis Westeuropas aus. Die Coronapandemie wird nicht die alleinige Erklärung dafür sein, vermutet der Genetiker Markus Hengstschläger, aber sie trieb seltsame Blüten – er ist auch mit dem Wort „Skepsis“ im Zusammenhang mit Wissenschaft gar nicht glücklich, da Skepsis ein wichtiger Korrektor jedes Forschers ist. „Feindlichkeit“ sei das passende Wort. Während der Pandemie konnte eine breite Öffentlichkeit der Wissenschaft sozusagen bei der Arbeit zusehen, was viele Menschen verunsichert hatte, da „Fakten“ von Virologen und Infektiologen öffentlich diskutiert wurden und fast täglich neue Erkenntnisse auftauchten. Ein völlig natürlicher Vorgang im Forschungsprozess aber unangenehm für jeden, der einfache ad-hoc-Lösungen erwartet.

„Die jüngste Eurobarometer-Studie weist uns als das Land mit der größten Wissenschaftsskepsis Westeuropas aus.“

Climate Watch Dog

Ein Tipp: Die Plattform „Diskurs – Das Wissenschafts-Netz“ ist eine kluge Aufklärerin zu Themen wie Pandemie, Migration oder Klimakrise: Besonders pointiert greift dort der Klimaforscher Prof. Reinhard Steurer in unsere größte Wunde, die Erderwärmung, die auf 3° zusteuert statt unter 2° zu bleiben. Er empfiehlt deshalb eine „institutionalisierte Schnittstelle“ zwischen Wissenschaft und Politik, wie’s z. B. die Briten machen: Ein „Watch Dog“ Komitee, „das ständig die Politik begleitet und Richtungsänderungen einfordert. Bei uns wäre der Hund nicht nur am Bellen“ sagt er, „sondern längst am Beißen“, weil zu wenig passiere. Das sei weder „Alarmismus“ noch „Untergangsirrsinn“, sondern eine unangenehme Zukunftsprognose, die nicht eintreffen müsste, wenn wir auf SIE hören würden – die Wissenschaft.