Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Ich kann jetzt nicht reden

Vorarlberg / 06.09.2023 • 06:30 Uhr

„Ich kann jetzt nicht reden“, hörte die Frau ihren Mann sagen. „Ich komme am Abend zu dir.“
An der Art, wie er telefonierte, wusste sie, dass er mit ihrer Tochter redete. Sie wunderte sich.
„Warum hat sie nicht mich angerufen?“, sagte sie, und ihr Mann schaute sie von der Seite an: „Bist du eifersüchtig? Hier geht es nicht um dich.“
„Ich bin nicht eifersüchtig! Ich möchte nur wissen, was unsere Tochter für ein Problem hat, sie ist doch auch mein Kind. Geld oder Liebessorgen. Komisch fand ich nur deine Formulierung: Ich komme am Abend zu dir, dann können wir reden. Das klang für mich wie ein Komplott. Ich gehöre doch auch dazu. Also, was ist ihr Problem? Beides nehme ich an, eines verstärkt das andere, Geldmangel macht ihr die Liebe schwer. Ich will doch auch für sie da sein, ich bin …“

„Sie wird ihre Sorgen anders nummerieren, wenn sie mit mir spricht.“

Ihr Mann starrte geradeaus, und diesen Blick kannte sie, und deshalb brach sie ab. Sie fand ihn in diesem Moment eiskalt und wusste doch, dass er es nicht war.
„Also, was?“ fragte sie.
„Ruf sie jetzt an“, sagte ihr Mann, „jetzt sofort und rede mit ihr, sie wird dir erzählen, was sie mir erzählt hat.“
„Das bezweifle ich“, sagte sie. „Sie wird ihre Sorgen anders nummerieren, wenn sie mit mir spricht.“
„Nummerieren? Also … ruf sie an … jetzt!“
Die Situation schien ihr zu verkappt, sie und ihr Mann hatten sich verrannt. Sie wusste, dass ihre Tochter wusste, dass ihr geholfen würde, finanziell jederzeit, mit der Liebe musste sie selber zurande kommen. Was sollte man ihr raten? Abraten, zuraten? Und dann ich auch noch …
Sie war ihre Einzige. Sie wollten alles richtig machen, hatten Angst, ausgeschlossen zu werden. Wurden sie um Geld gefragt, konnten sie immerhin einen Fuß in die Tür stellen.
„In ihrem Alter“, sagte die Frau, „hätte ich keinen gehabt …“, da brach sie ab, weil sie selber bis zum Erbrechen wusste, was folgen würde, „der mir geholfen hätte …“
Stattdessen sagte sie zu ihrem Mann: „Wir müssen neu denken, mein lieber Schatz.“
Er sagte: „Das Gleiche habe ich eben auch gedacht.“
„Dann ist es nicht neu“, sagte sie.
„Eben“, sagte er.
„Was ist neu zwischen uns?“
„Ich schlage vor“, sagte er, „wir nennen uns für eine Weile um.“
„Das ist die beste Idee, von der ich je gehört habe“, sagte sie. „Ich wünsche mir, dass ich von nun an …“
„Nicht von nun an“, sagte er, „nur für eine Woche …“
„… einen Monat.“
„… einen Monat …“
„Ich wünsche mir, dass ich für einen Monat zu dir Fritz sagen darf.“
„Ich bin gern dein Fritz“, sagte er. „Und du meine Emma?“
„Fritz“, sagte sie, wir müssen neu denken.“
„Ja, Emma, das müssen wir.“

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.