Reinhard Haller

Kommentar

Reinhard Haller

Hass als Kriegstreiber

Vorarlberg / 12.10.2023 • 06:29 Uhr

Auch wenn man über die Ursachen von Konflikten und Kriegen noch so viel nachdenkt, landet man immer bei der treibenden psychischen Kraft, beim Hass.

Ohne Hass wäre es weder zum Terrorüberfall der Hamas auf Israel noch zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, weder zu Konfessionskonflikten noch zu Weltkriegen gekommen. Wäre kein Hass im Spiel, gäbe es keine Selbstmordanschläge, kein Schulmassaker und keinen Femizid. Hass, der Gegensatz der Liebe, ist die kälteste und destruktivste Emotion, an der nichts Positives zu finden ist. Wut wirkt oft befreiend, Rache kann süß und Zorn heilig sein. Sogar der viel geschmähte Narzissmus vermag den Selbstwert zu stärken und Neid spornt oft zu besseren Leistungen an. Nicht so der Hass: Er ist ein Trieb zur Grausamkeit, wie dies Siegmund Freud gesagt hat, eine ausschließlich auf Zerstörung ausgerichtete Leidenschaft, die keine gute Seite hat. Deshalb können Hassende nie ein Gefühl der Befriedigung oder des Triumphs erleben, sondern spüren in sich nur Düsternis, Sadismus – und Tod.

Hass, der Gegensatz der Liebe, ist die kälteste und destruktivste Emotion, an der nichts Positives zu finden ist.

Die Wurzeln des Hasses sind vielfältig. Sie reichen von Entwertung und Beschämung über Verletzung des Gerechtigkeitsgefühls und Schuldzuweisung bis zu Demütigung und Entwürdigung. Auch scheinbare Kleinigkeiten wie Kränkungen oder Mobbing können Hass auslösen. Hass ist nur möglich, wenn alle empathischen Gefühle ausgeschaltet und die Adressaten entmenschlicht werden. Hass entsteht individuell, lässt sich auf ganze Gruppen übertragen und verdichtet sich in allen Formen menschlicher Massen. Besonders gefährlich ist dabei das Gefühl der Ohnmacht, da im Zustand völliger Hilflosigkeit nur noch der primitivste menschliche Reflex funktioniert, der Hass. Alle Konfliktparteien sollten sich deshalb stets vor Augen halten: Wenn man den andern durch Demütigung den letzten Mut nimmt oder sie in einen Zustand ohne jegliche Macht und Würde stößt, entsteht unweigerlich Hass.

Konfliktvermeidung heißt Hassbewältigung und Krieg kann nur durch Hasslosigkeit verhindert werden. Ein solches Unterfangen könnte nur durch individuelle und gesellschaftliche Förderung der positiven Gefühle wie Verständnis, Mitleid und Empathie gelingen. Wo warme Emotionen dominieren, haben die kalten, deren schlimmste der Hass ist, keinen Platz. Deshalb möchte man den Kriegstreibern überall auf der Welt ein Wort von Mahatma Gandhi, der selbst Opfer eines Hassverbrechens wurde, geradezu einbläuen: „Wo Liebe wächst, gedeiht Leben – wo Hass aufkommt, droht Untergang.“

Reinhard Haller

reinhard.haller@vn.at

Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut

und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.