Sprengstoffgürtel
Nie mehr werde ich dieses Bild vergessen:
Ein Bub, ungefähr zwölf Jahre alt, steht zwischen den Beinen seines Vaters. Ein magerer Bub mit einem Sprengstoffgürtel um die Hüften. Er muss ihn mit den kleinen Händen festhalten, damit er ihm nicht über seinen schmächtigen Körper rutscht. Er schaut verloren, sein Vater aber schaut voller Stolz. Stolz auf seinen Sohn, der geopfert werden soll. Wie ein Lamm.
Was weiß der Kleine? Ich würde ihm gern ein warmes Bett herrichten. Ihn zuerst in die Badewanne stecken, ein Schaumbad, ihm frische Kleider zurechtlegen, dann zu seiner Schlafstelle führen. Er würde tief schlafen. Ich würde ihn nicht wecken, ich richte ihm ein feines Frühstück her, wohl bedacht, was ihm schmecken könnte.
„ Er schaut verloren, sein Vater aber schaut voller Stolz. Stolz auf seinen Sohn, der geopfert werden soll.“
Mag er vielleicht nach dem heißen Tee noch eine Coca Cola? Ich will ihn mit meinem Enkel Anton bekanntmachen. Sie verständigen sich mit Händen und Füßen. Anton zeigt ihm ein Comic, er bringt einen Zeichenblock, beide versuchen sie, Comics zu zeichnen. Ich höre sie lachen. Sie kämpfen im Spaß und wälzen sich auf dem Teppich. Dann laufen sie zum Fußballplatz und zu Mittag gibt es Wiener Schnitzel und zum Nachtisch Vanilleeis mit Schokosoße oder Erdbeeren, wenn er das lieber mag. Der Nachmittag gehört den Buben.
Von seinen Onkeln wird ihm von Jungfrauen erzählt, die er haben kann, wenn er im Himmel ist. Der Bub weiß gar nicht, was Jungfrauen sind, geschweige denn, dass er sich für sie interessieren könnte, wo er doch viel lieber mit dem Anton Fußball spielt. Noch nie war er verliebt, vielleicht ein bisschen in die Tante mit den glänzenden Haaren. Er kommt in den Himmel und versteckt sich vor den kreischenden Jungfrauen, die machen ihm Angst.
Bitte, lieber Gott, lass den Kleinen in Frieden!
Lass seine Mama in Frieden! Sie soll den Kindern Geschichten erzählen, sie sollen in den Himmel schauen und den Wolken Namen geben. Kann er nicht statt der vielen Jungfrauen einfach einen Freund hienieden haben? Kann er statt des Sprengstoffgürtels nicht eine Turnhose anziehen und so lässige Turnschuhe, wie Anton welche hat? Lass ihn, lieber Gott, seine Freunde treffen! Lass die Frauen ihre Babys stillen und bau ihnen Kartenhäuser. Lass die Kinder auf dem Bauch liegen und alles anbeten, was nicht umfällt. Das muss doch genügen!
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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