Oran starb in Diels Armen

Vorarlberg / 06.12.2023 • 20:22 Uhr
Diel am Grab von Oran. Die Welt brach für sie zusammen. Diel
Diel am Grab von Oran. Die Welt brach für sie zusammen. Diel

Die Cousine einer in Vorarlberg lebenden Israelin erlebte den ganzen Horror des Hamas-Terrors.

Tel Aviv Diel, 21, war ein lebenslustiges und fröhliches Mädchen. Sie lebte im Kibbutz Nirim, unweit des Gaza-Streifens. Diel war Mechanikerin, spezialisiert auf Schweißen. Sie mochte Maschinen, und vor allem ihr Motorrad. Sie war zudem frisch verliebt. In Oran, 22, den High-Tech-Experten, der erst vier Wochen mit ihr zusammenlebte, jeden Tag von Nirim nach Tel Aviv fuhr und wieder zu seiner Liebsten zurück. Vier Stunden Fahrt täglich. Ihm egal.

Der 7. Oktober, der Tag des Massakers von Hamas-Terroristen mit 1200 ermordeten Israelis, änderte für Diel alles. Ihre Cousine Elena*, die in Vorarlberg lebt und arbeitet, versuchte nachzuvollziehen, welch Grauen ihre junge Blutsverwandte in Nirim erlebte. Zwei Monate später vermittelte und moderierte Elena einen Video-Call mit den VN. Als Diel endlich sprechen konnte, und sprechen wollte. Über diesen schrecklichen 7. Oktober.

Das Grauen beginnt

„Mein Freund und ich waren auch an diesem Samstag früh aufgestanden. Es war so circa halb sieben. Ich bereitete das Frühstück zu, hörte draußen arabische Stimmen. Nichts Ungewöhnliches. Es gibt ja viele arabische Israelis. Auch bei uns im Kibbutz.“ Doch über die an der Hausfassade angebrachten Kameras nimmt Diel hektische Aktivitäten wahr. Oran erhält gleichzeitig erste WhatsApp-Bilder von wütenden Hamas-Terroristen. „Ein Fake, dachten wir zuerst.“ Doch dann fallen Schüsse. Und dem jungen Paar wird klar: Es ist in Gefahr. Diel und Oran flüchten in den Sicherheitsraum mit der schweren Metalltüre, den jedes Kibbutz-Haus hat.

Die Kameras draußen liefern die Bilder des Albtraums. „Wir sehen schwer bewaffnete Terroristen mit Schusswaffen und Granaten. Wir sehen aber auch unbewaffnete Araber, die einfach nur zerstören und plündern. Offensichtlich Mitläufer.“ Nie vergisst Diel die Gesichter der bewaffneten Terroristen. „Sie hatten so einen triumphierenden Ausdruck im Gesicht, furchterregend.“ Diel und Oran begreifen: Die Terroristen werden bald in ihr Haus kommen. Und das tun sie. Marodierend und berauscht von den Morden, die sie soeben begangen hatten. „Sie schreien ‚Allahu akbar‘. Sie brüsten sich mit ihren Missetaten. Sie fangen an, in unserem Haus alles kurz und klein zu schlagen. Wir bekommen alles in unserem Schutzraum mit“, erzählt Diel.

Sie versucht, Kontakt mit den israelischen Sicherheitskräften aufzunehmen, telefoniert mit ihrem zehnjährigen Bruder, der mit ihrem Vater in einem anderen Haus des Kibbutz Nirim lebt. Die beiden werden überleben.

In ihrem Haus gibt es ein Kommen und Gehen von Terroristen. Diel und Oran schaffen es nicht, kurz einmal raus zu kommen, um Wasser und Essen in den Schutzraum zu bringen.

Im Gegenteil. Die Terroristen wissen bald, dass sie sich im Schutzraum befinden. Sie wollen diesen aufbrechen. Sie schreien: „Kommt heraus!“ Diel und Oran stemmen sich mit all ihrer Körperkraft gegen die Tür. Oran vorne, Diel hinten.

Plötzlich schießen sie in die Tür

Dann plötzlich schießen die Hamas-Leute in die Türe. Oran wird im Rücken getroffen, sackt zusammen. Diel trifft eine Kugel in den linken Unterschenkel. Es folgen die furchtbarsten Stunden im Leben der jungen Frau. Oran ist tödlich verletzt, sein Atem wird immer schwächer. Hilfe kann keine kommen. „Er ist in meinen Armen gestorben“, sagt Diel leise. Sie muss weitere Stunden neben ihrem toten Freund im mittlerweile völlig dunklen Raum ausharren. Endlich, kurz vor Mitternacht, gelangen israelische Sicherheitskräfte ins Haus und befreien Diel. Das Ende der Todesgefahr, aber nicht des Albtraums für die 21-Jährige.

Traumatisiert

Zwei Monate später ist Diel immer noch traumatisiert. Sie muss Psychopharmaka einnehmen. Die einst so fröhliche junge Frau ist weit davon entfernt, sich über ein Leben nach dem 7. Oktober Gedanken zu machen. Am 17. Oktober besuchte sie das Grab von Oran. Die ganze Welt sei in diesem Moment für sie zusammengefallen.

„Ich weiß nicht, wie alles weiter geht“, sagt Diel heute. Sie befindet sich derzeit in Tel Aviv, hat bereits zwei Operationen am verletzten Bein hinter sich, versucht irgendwie mit dem Erlebten zurechtzukommen.

Elena möchte ihre Cousine nach Weihnachten für einige Wochen nach Vorarlberg holen. „Ich könnte mir vorstellen, dass mir das guttut“, sagt Diel. Und zum ersten Mal schwingt etwas Optimismus in ihrer Stimme mit.

 

*Name von der Redaktion geändert

Diel wurde von einer Kugel am linken Unterschenkel getroffen.
Diel wurde von einer Kugel am linken Unterschenkel getroffen.
Diel und Oran. Zwei Turteltauben, Hals über Kopf ineinander verliebt.
Diel und Oran. Zwei Turteltauben, Hals über Kopf ineinander verliebt.