Vor allem Gesundheit

In der Erinnerung waren es vor allem ältere Tanten, die mit diesem Wunsch hohe Festtage zu würzen pflegten: Mit leicht brüchiger Stimme kleideten sie das höchste der Gefühle in die Worte: „Vor allem Gesundheit!“ Nun hätte sich der Heranwachsende für kleinere Geldgeschenke – gerne auch Gutscheine – unter Aufbietung aller Kraft das herzigste Lächeln abgerungen, aber schon folgte dem Wunsch nach körperlicher Unversehrtheit eine ganze Litanei der schrecklichsten Leiden, an denen Tantchen eben litt. All das sollte ihm erspart bleiben. Deshalb der Wunsch. Er dachte an neue Skier, sie an ihre neue Hüfte.

Der Geruch von Pfefferminzbonbons, wie er in ihren Handtaschen beheimatet war, die weiße Kakaobutter auf der leider schon abgelaufenen Schokolade, das unausweichliche Tätscheln der Wange – das alles ist Geschichte. Taugt manchmal noch gut als Untermalung fröhlicher Runden.

Die Formulierung „Vor allem Gesundheit“ aber hat irgendwann – spannend wäre der exakte Zeitpunkt – seinen Platz im eigenen Sprachgebrauch erobert und sich gleich ganz vorn an die Reihe der herzlichsten aller Wünsche gesetzt: „Ich wünsch Dir vor allem Gesundheit“, das klingt heute beinahe wie eine kleine Liebeserklärung. Und ist es auch, war es übrigens immer. Aber Liebe braucht ja auch mitunter länger, bis sie verstanden wird.