Mit 1,30 Metern durchs Leben: Wie Ilse Anders (66) das Glück in der Fotografie fand

Vorarlberg / 24.01.2024 • 18:50 Uhr
Fotokünstlerin Ilse Anders zeigt eines ihrer Fotos, das sie gemacht hat. Es zeigt eine Heuschrecke auf einer Blume. <span class="copyright">Roland Paulitsch </span>
Fotokünstlerin Ilse Anders zeigt eines ihrer Fotos, das sie gemacht hat. Es zeigt eine Heuschrecke auf einer Blume. Roland Paulitsch

Ilse Anders (66) musste ihre Lebensträume wegen ihres Kleinwuchses begraben. Sie ist nur 1,30 Meter groß.

Rankweil Ihre innigsten Wünsche erfüllten sich nicht. Ilse Anders (66) wäre gern Lehrerin geworden und Mutter mehrerer Kinder. Beide Wünsche scheiterten an ihrem Kleinwuchs. Wegen eines Gendefektes wurde die gebürtige Oberländerin nur 1,30 Meter groß. „Als Lehrerin wäre für mich die Tafel in unerreichbarer Höhe gewesen. Deswegen musste ich diesen Berufswunsch aufgeben.“ Weil sie Angst hatte, dass sie den Gendefekt ihrem Nachwuchs weitergeben könnte, wurde sie nicht Mutter. „Das hätte ich nicht verantworten können.“

Ilse war ein niedliches Baby.
Ilse war ein niedliches Baby.

Ilses Kindheit war nicht einfach. Ihre Eltern kümmerten sich nicht viel um Ilse und ihre zwei Geschwister. „Wir Kinder waren Nebensache. Ich hatte eine schweigende Mutter und einen schwierigen Vater, der wegen jeder Kleinigkeit explodieren konnte.“ Aber Ilse hatte eine liebevolle Großmutter. „Ich war oft bei ihr. Im Gegensatz zu meinen Eltern hat sie mich liebkost und in den Arm genommen.“ Ihre Oma starb mit 76 Jahren. Der Verlust der Großmutter war ein harter Schlag für den damaligen Teenager.

Ilse als Erstkommunikantin.
Ilse als Erstkommunikantin.

Der Hasch-Schülerin ging es in dieser Zeit nicht gut. „Damals bin ich zum ersten Mal depressiv geworden.“ Ilse dachte ernsthaft daran, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Anderseits war da eine Sehnsucht nach einem sinnvollen Leben. „Ich wollte weg von zu Hause und etwas Sinnvolles tun.“ Die junge Frau spielte mit dem Gedanken, in ein Kloster in Rom einzutreten. „Ich wäre gern in die Mission gegangen. Aber ich erkannte noch rechtzeitig, dass es mir am Glauben mangelte.“

Die junge Ilse beim Federballspielen.
Die junge Ilse beim Federballspielen.

Nach der Handelsschule begann die Oberländerin bei einer großen Sozialorganisation als Buchhalterin zu arbeiten. Schnell stieg sie in dem Unternehmen zur Chefbuchhalterin auf. Die Arbeit gefiel ihr, so sehr, dass sie sie 22 Jahre lang ausübte. Aber zwischendurch quälten sie immer wieder Depressionen. „Einmal war ich deswegen eineinhalb Jahre lang im Krankenstand.“

Nachdem sie ihre Arbeit in einem Treuhandbüro verloren hatte, ließ sie sich zur Versicherungsmaklerin umschulen. „Aber ich fand keinen Job mehr, weil ich schon Ende 40 war. Bewerbungen wurden gar nicht beantwortet. Ich bekam nicht einmal Absagen.“ Mit 50 suchte die depressive Frau, die nie verheiratet war, erfolgreich um die Invalidenrente an.

Am liebsten liest Ilse in ihrem gemütlichen Ohrensessel.
Am liebsten liest Ilse in ihrem gemütlichen Ohrensessel.

Trotzdem konnte sie hin und wieder auf Reisen gehen. „Reisen ist mein Lebenselixier. Da bin ich der glücklichste Mensch.“ Durchs Reisen kam sie zur Fotografie. „Das Fotografieren gibt mir alles. Es ist wie Meditation für mich.“ Ihre Bilder sind einzigartig. „Weil ich so klein bin, mache ich die Fotos aus einer anderen Perspektive als normalgroße Menschen.“ Blumenmotive wurden zur Obsession der Fotokünstlerin, die ihre Fotos bereits zwei Mal ausgestellt hat. „Blumen haben ein wunderschönes Innenleben.“ Mittlerweile fotografiert sie aber bevorzugt Strukturen und Objekte. „Eine Mauer mit Moos oder die Maserung eines Steins – das sind fertige Bilder.“

Ilse Anders ist eine begeisterte Fotografin.
Ilse Anders ist eine begeisterte Fotografin.

Auf ihren Foto-Streifzügen durch die Natur ist sie glücklich. Auch im Senegal, wo sie ihr soziales Engagement für den Dornbirner Verein „Wissen macht Stark“ schon mehrfach hingeführt hat, fühlt sie sich glücklich. „Dort habe ich Freunde. Die warten, bis ich wiederkomme.“

Aber die depressive Erkrankung hängt wie ein Damoklesschwert über ihr. Sie sorgt immer wieder für dunkle Tage und Phasen in ihrem Leben. Trost findet Ilse dann beim Lesen von Weisheitsbüchern und Biografien und in der Musik. Wenn es ihr schlecht geht, setzt sie sich in ihren Ohrensessel und hört Mozart oder andere klassische Komponisten. In Krisenzeiten hilft es ihr auch, wenn sie sich alles von der Seele schreibt. „Daraus werden Gedichte.“

Ilse liebt Blumen. Zahlreiche Pflanzen verschönern ihre Wohnung.
Ilse liebt Blumen. Zahlreiche Pflanzen verschönern ihre Wohnung.

Bisher hat die kleinwüchsige Frau immer Wege gefunden, um aus ihrem Seelenleid herauszukommen. „Meistens schaffe ich es, mir selbst Halt zu geben. Ich gebe meine Verantwortung nicht an einen Gott ab. Ich bin für mich selbst verantwortlich und muss selbst den Weg finden, der für mich begehbar ist.“ Die alleinstehende Frau ist stolz auf sich. Denn: „Ich bin tapfer genug für mein Leben.“   

Ihr soziales Engagement führte sie schon mehrmals in den Senegal.
Ihr soziales Engagement führte sie schon mehrmals in den Senegal.