Kickl und seine Front Régional
Es gibt 1000 gute Gründe, mit der aktuellen Regierung nicht zufrieden zu sein. Es gibt jedoch keinen einzigen Grund, warum man deswegen Herbert Kickls FPÖ anheimfallen sollte.
Kickl sendet zunehmend offen Botschaften an Verschwörungstheoretiker ab. Während er in TV-Interviews zielgruppengerecht so freundlich daherkommt, wie er halt kann, wird über FPÖ TV und soziale Medien Propaganda abgesetzt, die weit in rechtsextrem-nationalistisches Gedankengut reicht. Was “wir Freiheitliche unter Remigration verstehen”. Alle anderen Parteien wurden diese Woche als “Einheitspartei” dargestellt, nur der Erlöser, die FPÖ, wisse, dass Österreich ein “Filialbetrieb” der bösen EU sei. EU, NATO, WHO, WEF oder Weltklimarat sind übergriffig. Das Heil liegt nur im eigenen Land. Schritt für Schritt in den autoritären Nationalstaat.
„Die FPÖ ist keine moderne Arbeiterpartei. Sie sucht Steigbügelhalter für ihren Anführer, der die Demokratie aushöhlen will.“
Die “Tagespresse”, eigentlich ein Satireportal, hat diese Woche eine sehr ernsthafte Berechnung angestellt. Der Artikel „So viele Millionen Steuergeld kassierte Systemkanzler Kickl bisher“ rechnet vor, wie viel der FPÖ-Obmann seit seinem Eintritt in den Nationalrat 2006 vom so vehement kritisierten “System” kassiert hat: über 2,6 Millionen Euro in Summe.
Immer wieder distanzieren sich ÖVP-Politiker von der Kickl-FPÖ, als bestünde ein Unterschied zwischen Kickl und der FPÖ, als gäbe es eine andere FPÖ. Ein Argument, das auch regional gespielt wird. In Vorarlberg gibt sich die FPÖ aktuell besonders butterzart, weil FPÖ-Chef Christof Bitschi für möglichst jedermann wählbar sein will. Kommt es jedoch darauf an, schwingt auch er die Fahne für Kickl. Die FPÖ ist keine moderne Arbeiterpartei. Sie sucht Steigbügelhalter für ihren Anführer, der die Demokratie aushöhlen will.
Die Arbeiterkammerwahl, die derzeit in Vorarlberg so etwas wie ein Wahlkämpfchen aufkommen lässt, erlaubt einen frühen Blick auf die Absichten, den Stand der Vorbereitung und die Schlagkraft der Parteiapparate im Hinblick auf das Superwahljahr 2024.
Die Blauen haben als einzige Fraktion bei der Arbeiterkammerwahl entschieden, nicht auf eine Person (die im Zweifelsfall niemand kennt), sondern voll auf die Partei zu setzen. Die drei Buchstaben FPÖ prangen auf blauem Grund, umrahmt von einer rot-weißen Flamme. Moment: Flamme? Während sich Bitschi derzeit in der öffentlichen Diskussion mit rechten Sprüchen extrem zurückhält, ist das für die AK-Wahl kreierte Logo in Vorarlberg tatsächlich ident mit dem Erkennungszeichen der rechtsextremen französischen Partei, die bis 2018 “Front National” hieß, gegründet von Jean-Marie Le Pen. Die Vorarlberger FPÖ also als “Front Régional”.
Nach außen sind die freiheitlichen Arbeitnehmer im Ländle angeblich “gerecht und frei”. Auf den Parteikanälen geht es um den üblichen Kickl-Remix: “illegale Massenzuwanderung” und “Stopp dem Corona-Wahnsinn”.
Es geht in diesem Jahr tatsächlich um Grundsätzliches. Fallen genügend Menschen auf Demokratiezerstörer, Desinformationskampagnen und falsche Versprechungen herein – oder stärken Europäerinnen und Europäer, Österreicherinnen und Österreicher, Vorarlbergerinnen und Vorarlberger in Mehrheit Demokratie und Pluralität. Die Menschenmassen, die in Hamburg, München, Wien und Innsbruck gegen Rechts-
extreme und für Demokratie auf die Straße gegangen sind, lassen Zuversicht aufkommen.
Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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