Wenn der Staat tötet
Kenneth Eugene Smith hat zwei Minuten lang gezittert und sich gewunden, bevor er starb. Der 58-Jährige muss noch mehrere Minuten bei Bewusstsein gewesen sein, das berichtet die Journalistin Ivana Hyrnkiw, die vergangene Woche als Medienzeugin in einem Gefängnis im US-Bundesstaat Alabama vor Ort war. Sie hat miterlebt, wie erstmals in den USA ein zum Tode Verurteilter mittels einer neuen Stickstoff-Methode hingerichtet wurde. Dies sei die „die schmerzfreiste“ der bekannten Verfahren, wurde zuvor noch behauptet – Hinrichtung auf die sanfte Art.
„Heute wissen wir, dass der Abschreckungseffekt durch die Todesstrafe nicht nachgewiesen werden kann.“
Bei dieser Tötungsart bekommt die verurteilte Person Stickstoff über eine Maske zugeführt, der Tod tritt wegen des Sauerstoffmangels ein. Die Methode sei ungetestet und könnte zu einem grausamen Sterben führen, sagen Menschenrechts-Expertinnen und -Experten. Kenneth Eugene Smith, der nun als Versuchsobjekt dienen musste, ist ein Verurteilter, an dessen Fall man die Grausamkeit der Todesstrafe gut veranschaulichen kann. Er war 1996 wegen eines Auftragsmordes zum Tode verurteilt worden, 2022 sollte er durch die Giftspritze getötet werden. Da das Gefängnispersonal nicht in der Lage war, den nötigen Zugang zu legen, lag Smith stundenlang auf dem Exekutionstisch, ehe er wieder zurück in seine Zelle gebracht wurde – Hinrichtung auf Raten.
Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg haben immer mehr Länder die Todesstrafe abgeschafft und man sollte meinen, dass diese Praxis gerade in ethischer Hinsicht nur als verwerflich und unmenschlich betrachtet werden kann. Heute findet kaum mehr eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Thema statt, doch viele der klassischen Autoren der Philosophie seit Beginn der Aufklärung haben sich noch für die Todesstrafe ausgesprochen. Zum Beispiel Immanuel Kant, der ja auch das Prinzip der Menschenwürde formuliert hat, aus heutiger Perspektive ist das verstörend.
Kant ging davon aus, dass die Strafe auch ihrer Art nach der Tat entsprechen müsse, also ein Leben für ein Leben, als Genugtuung für die Gemeinschaft. Andere Philosophen argumentierten mit der Idee der Gerechtigkeit oder dem Recht der Gesellschaft, Abschreckungsmaßnahmen zu treffen. Heute wissen wir, dass der Abschreckungseffekt durch die Todesstrafe nicht nachgewiesen werden kann.
In Staaten, wo sie praktiziert wird, gibt es nicht weniger Morde als in jenen, die keine Todesstrafe haben. Und auch das wohl stärkste Argument gegen die tödliche Vergeltung durch den Staat muss bedacht werden: Fehlurteile, die es immer geben kann, können nicht wieder gutgemacht werden. Denn es sind fehlbare Menschen, die sie verhängen. Und so werden neben den tatsächlich schuldigen auch unschuldige Menschen hingerichtet.
Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.
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