Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Das Ende der Luftjobs

Vorarlberg / 06.02.2024 • 06:05 Uhr

Was willst du werden, wenn du einmal groß bist? Jeder, jedem von uns ist als Kind diese Frage wohl irgendwann gestellt worden und man hat dann je nach Typ geantwortet: Lehrerin, Feuerwehrmann, Bäckerin, Arzt – und ganz Ausgefuchste wollten vielleicht ein Süßwarengeschäft führen. Auf die Idee, Influencerin, TikTok-Star oder Dauergast in Realityshows werden zu wollen, konnte man in einer Kindheit vor Social Media und Echtmenschenfernsehen erst gar nicht kommen und ich persönlich halte das für keinen Nachteil der zu früh Geborenen. Wenn man sich nur die Besetzung der diesjährigen Ausgabe des RTL-Dschungelcamps ansieht, erkennt man, wie radikal sich das Unterhaltungsgeschäft seit dem Start des Formats im Jahr 2004 verändert hat; so wie sich auch unsere gesamte Welt verändert hat.

„Auf die Idee, Influencerin werden zu wollen, konnte man in einer Kindheit vor Social Media erst gar nicht kommen.“

Buhlten ursprünglich noch Schauspielerinnen oder Schlagersänger um die Gunst des Publikums (und um eine Dschungelkrone, wie verzweifelt kann man sein?), sind es heute vor allem junge Menschen ohne ernsthaften beruflichen Hintergrund, die als Personal für die TV-Unterhaltungsindustrie in diversen Realityformaten zu „Stars“ gemacht werden, um dann durch alle weiteren Sendungen dieser Art zu tingeln. Sie arbeiten fast alle im Influencergeschäft, sie verkaufen sich selbst und die eigene Geschichte auf Social Media (gerne auch irgendwelche Produkte), zumeist mittels geschönter Bilder – wer braucht schon die reale, unperfekte Welt? Luftjobs, für die man oft nichts können muss, außer das schillernde Nichts selbstbewusst zu füllen, mit denen sich aber im vergangenen Jahrzehnt sehr viel Geld verdienen ließ.

Perfekte Oberflächen

Durch die neuen Hochtechnologien, die unsere gesamte Arbeitswelt verändern werden, könnte jetzt gerade die glattgebügelte Influencerindustrie eine der ersten Branchen sein, die sich neu erfinden müssen. Virtuelle Influencerinnen und Influencer gibt es schon länger, doch generative KI lässt sie immer realer erscheinen, chatten, singen und in jeder Sprache sprechen. Hinter ihren Social- Media-Accounts stehen teilweise ganze Gruppen oder spezialisierte Agenturen, da kann ein Einzelmensch nicht mehr mithalten.

Und diesem Geschäftszweig wird vor allem eines zum Verhängnis: die Selbstoptimierung. Denn zwischen den üblicherweise extrem nachbearbeiteten Bildern der Echtmenschen und den von KI erzeugten Kunstfiguren lassen sich kaum noch Unterschiede bemerken – und die generierten Modelle werden das Modell Mensch bald übertroffen haben. Vielleicht kommt dadurch auch bald ein Punkt, an dem das fragwürdige Ideal der perfektionierten Oberfläche infrage gestellt wird: auf Social Media und in der analogen Welt.

Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.