Verloren im Emotionssturm
Ein Mensch wird vermisst, man befürchtet das Schlimmste. Viele machen sich Sorgen, viele werden emotional. So weit, so menschlich. Doch das, was sich vergangene Woche rund um das Verschwinden der bekannten österreichischen Journalistin Alexandra Föderl-Schmid auf Social-Media-Plattformen abgespielt hat, war wieder ein klassisches Anschauungsbeispiel dafür, wie sehr das Netz Emotionen befeuert. Leider sehr oft den Hass, die Niedertracht, aber auch in der Gegenbewegung dazu die Mitmenschlichkeit, das Mitgefühl.
Aufklärung und Information, die Errungenschaften des Netzes, sind längst von der Aufregungsmaschine überrollt.
Im Dezember waren Vorwürfe zum Umgang Föderl-Schmids mit Quellen in einigen ihrer Artikel aufgekommen. Die stellvertretende Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung hatte sich vorläufig zurückgezogen, ihre Artikel sollen von einer Kommission auf Plagiat geprüft werden. Doch die Plagiatsdiskussion nahm eine völlig absurde Dimension an, gerade auf der Plattform X wurde Föderl zum Ziel von Aggression und Hetze. Als öffentlich wurde, dass das rechtspopulistische Onlinemedium Nius, bei dem Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt tätig ist, für eine Plagiatsprüfung den „Plagiatsjäger“ Stefan Weber bezahlt hatte, zeigte sich auch eine mögliche politische Tangente: Nius gegen die Süddeutsche Zeitung – und mittendrin eine Frau, der man das Leben zur Hölle macht. Dass Alexandra Föderl-Schmid am Freitag stark unterkühlt, aber lebend unter einer Brücke am Inn gefunden wurde, ist das einzig Tröstliche an dieser hässlichen Geschichte.
Hauptsache Gefühle
Wir sind verloren im Emotionssturm. Der deutsche Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt das Internet als eine „Kultur- und Affektmaschine“: „Seine zirkulierenden Bestandteile erregen, unterhalten, stimmen freudig, entspannen, hetzen auf oder bewirken, dass man sich angenehm aufgehoben fühlt.“ Dass es so auch zu Hetzjagden kommt, liegt an jenen Menschen, die niedrige Instinkte ausleben, und an den Algorithmen der großen Plattformen, die emotionale Inhalte durch mehr Sichtbarkeit befördern. Diese dauernde öffentliche Zurschaustellung von Gefühlen, ob negativer Art oder positiver Art, wird immer schwerer auszuhalten. Aufklärung und Information, die Errungenschaften des Netzes, sind längst von der Aufregungsmaschine überrollt.
Wenn also schlimme, ungerechte, traurige Dinge in der Welt passieren, könnte man sich das vor Augen halten, ehe man sich auf einer Social-Media-Plattform dazu äußert: Es geht nicht um meine Fassungslosigkeit. Es geht nicht um meine Tränen. Es geht nicht um meine Verzweiflung. Es geht nicht um meinen Zorn. Es geht nicht um Aufmerksamkeit für mich. Es geht einfach nicht immer um mich.
Julia Ortner
julia.ortner@vn.at
Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.
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