Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Bubi

Vorarlberg / 19.02.2024 • 05:30 Uhr

Bubi wurde er gerufen und das blieb ihm bis er gestorben war.
Ich traf seine Frau auf dem Friedhof und sie sagte, gerade haben wir Bubi begraben, du kommst zwei Stunden zu spät. Alle Trauermücken sind schon verschwunden, nur ich bin geblieben. Sag, wo ich dich gerade treffe, bist du zufällig hier, wusstest du von Bubis Unfall und Tod?“
„Nein“, sagte ich, „erzähl, was ist passiert.“
„Ja, eben“, sagte sie, schwarzgekleidet wie ein Schatten, „er ist vom Apfelbaum gestürzt, wollte gerade die Blaumeisen füttern. Gleich war er tot. Ich war gerade mit seinem Volvo beim Einkaufen, vollgepackt mit Wochenration, und da sah ich ihn liegen. Glaub es oder glaub es nicht. Eine Blaumeise ist auf seiner Brust gesessen. Er liebte die Vögel. Mein Problem: Das Auto ist immer noch voll geladen. Die vielen Lebensmittel. Sag, kann ich dir davon abgeben?“
Ich begleitete sie zu ihrem Haus. Der Volvo stand immer noch vollgepackt in der Einfahrt. Zum Glück war es sehr kalt, sodass die Lebensmittel nicht verdorben waren. Sie wollte, dass ich alles mitnehme. „Jetzt, nach seinem Tod, kann ich nichts mehr essen, kriege gerade noch Yoghurt hinunter.“ Sie packte mir eine Tasche voll. Die anderen Lebensmittel stellten wir vor die Einfahrt. Ich schrieb einen Zettel, darauf stand: „Alles frisch – bitte bedienen sie sich. Nehmen sie alles mit.“
Ich ging mit der Witwe ins Haus und wir schauten aus seinem Arbeitszimmerfenster und sahen, wie Vorübergehende sich über die Lebensmittel beugten, sie begutachteten und einiges mitnahmen. Manche öffneten ihre Taschen. Bald lag nur mehr ein Badreiniger da. „Das hätte Bubi gefallen“ sagte sie.
„Und den Volvo“, fragte sie, „kann ich dir den verkaufen? Ich will ihn nicht mehr, so sehr erinnert er mich an Bubi. Bei Nebel sind wir in die Sonne gefahren und haben uns an ihr gewärmt. Jetzt ist alles vorbei.“
Sie überlege sich, sagte sie, dass sie langsam mit dem Essen aufhöre, trinken würde sie wenig und dann nach sechs Wochen könnte sie auch tot sein. Sie fragte mich, ob ich manchmal nach ihr schaue. Sie gab mir den Haustürschlüssel. Ich müsse ihr versprechen, dass ich ihr nicht zum Essen zurede.
Nach einer Woche schloss ich die Tür ihres Hauses auf und fand sie nicht. Ich suchte in allen Räumen, fünf gab es, suchte im Keller, im Dachboden, schlussendlich fand ich sie auf dem Friedhof. Da saß sie auf dem Stein und schlief.
Um mein Gewissen zu beruhigen, schließlich will ich alles richtig machen, rief ich meinen Arzt an, der schickte einen Krankenwagen. Sie wurde eingeladen und weggefahren.

Monika Helfer

monika.helfer@vn.at

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.