Wer darf welche Fehler machen?

Vorarlberg / 11.03.2024 • 11:15 Uhr
Wer darf welche Fehler machen?

Der ÖBB-Vorstandsvorsitzende bittet die verärgerte Kundschaft seines Unternehmens im ZiB2-Studio öffentlich um Entschuldigung, weil im Osten zuletzt viele Züge gestrichen wurden, um der chaotischen Lage Herr zu werden. „Ich gebe unserer Leistung maximal ein Genügend“, sagt Andreas Matthä auf die Frage von Armin Wolf, welche Note er den ÖBB Ende 2023 geben würde. Die frisch gekürte Grünen-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl läuft nach dem Bundeskongress in den Satiriker Peter Klien hinein, der sie mit Fragen wie „Wann ist der Euro in Norwegen eingeführt worden?“ oder „Ist Norwegen bei der EU?“ gerade am ganz falschen Fuß erwischt. „Totales Blackout, mein Kopf war einfach absolut leer“, sagt Lena Schilling am Tag danach in einem Video auf Instagram.

Fehler einzugestehen wird zwar heute zu Recht viel mehr eingefordert als früher, man kann sich damit aber noch angreifbarer machen.

Zwei Eingeständnisse von Menschen in der Öffentlichkeit aus den vergangenen Wochen, die in der Praxis zeigen, was mit der Fehlerkultur gemeint ist, über die man so gerne in der Theorie spricht. Es ist allerdings nicht ein­fach, sich zu einer Fehlleistung oder Peinlichkeit zu bekennen. Fehler einzugestehen wird zwar heute zu Recht öffentlich viel mehr eingefordert als früher, man kann sich damit aber noch angreifbarer machen. Wer darf welche Fehler machen, ohne dass man ihm, ihr gleich die Kompetenz abspricht?

Dauernde Beurteilung

Gerade auch wir Journalistinnen und Journalisten sind es so gewohnt, die Performance von Menschen in der Öffentlichkeit zu beurteilen, dass wir nur schwer aus dem alten Bild der dauernden Beurteilung anderer herauskommen. Es ist eine Déformation professionnelle – wobei unsere Rolle im zeitgemäßen Journalismus doch mehr die Einordung und Differenzierung sein sollte. Also auch der Frage nachzugehen, ob eine Fehlleistung „nur“ peinlich ist oder tieferliegende Probleme und Missstände offenbart.

Menschen auf der politmedialen Bühne werden heute von großen Teilen der Bevölkerung mit einer gewissen Ambivalenz betrachtet. Sie sollen uns nicht mit täglichen Streitereien oder wechselseitigen Angriffen auf die Nerven gehen, sie sollen sich aber auch nicht unbedingt im Gasthaus verbrüdern und verschwestern. Politikerinnen und Politiker können es dem Publikum ohnehin nach allem, was in den vergangenen Jahren im Politikbetrieb passiert ist, schwer recht machen: Sie sind entweder von Kommunikationsprofis zu auftrainiert oder zu ungeschickt, zu abgebrüht oder zu unerfahren, zu distanziert oder zu anbiedernd. Wer einen Beruf in der Öffentlichkeit wählt, muss natürlich damit zurechtkommen. Dennoch könnte das innere Zugeständnis, dass Fehler passieren und dass nicht jeder Lapsus eine schlechte Note für die gesamte Person bedeutet, auch Teil einer modernen politmedialen Kultur sein.

Julia Ortner
julia.ortner@vn.at
Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.