Eisige Sonne
Sie liebte ihn, weil er bald sterben würde. Er wollte nämlich in den Krieg, um dort Feinde zu erschießen, die er nicht kannte. Er würde ihre Gesichter nicht sehen, nur die eisige Erde und die eisige Sonne. Er würde eine Schutzhaltung einnehmen, die Ohren mit dem Daumen zuhalten, das Gesicht abschirmen, und trotzdem würde er alles mitbekommen.
So war es geschehen im eisigen Winter, als die Pferde im Stehen erfroren.
Die Frau erfuhr vom Tod des Mannes, bei dem sie sich nicht sie selbst sein konnte – so hatte sie immer gedacht.
Es gab eine Bestattung mit seiner Asche. Asche, dachte sie, ist, als hätte er, wie er war, nie existiert.
Sie lebte weiter, sein Geruch verschwand aus ihrem Schlafzimmer. Seine wenigen Kleider verschenkte sie an eine Hilfsorganisation. Sie dachte, wie wird es sein, wenn ein Fremder seinen besten Anzug trägt. Sie hatte neue Knöpfe drangenäht, weil die alten so schäbig aussahen. Durch die schönen Knöpfe bekam der Anzug ein Gesicht. Er sollte, wäre er begraben worden, diesen Anzug tragen. Lange hatte sie sich überlegt, ob sie ihn nicht behalten sollte. Als letzten Gedanken an ihn, den Krieger. Sie hatte ihn auf ihrem Bett ausgebreitet, hatte ihn angezogen, aber die Hose war zu eng.
Das hieß, er war mager gewesen und sie zu dick. Also packte sie den Anzug in eine Schachtel und fragte den Nachbarn, ob er ihn haben wollte. Die Nachbarin hätte ihn gern für ihren Mann gehabt, aber der Mann sagte: „Er riecht nach Tod, ich will ihn nicht.“
Also warf ihn die Frau in einen Kleidercontainer.
Einmal sah sie auf dem Markt, als sie gerade Suppengemüse gekauft hatte, einen Mann, der diesen Anzug trug. Sie war sich sicher. Genau schaute sie hin. Solche Knöpfe an einem Anzug gab es nicht zweimal.
Sie nahm sich ein Herz und sprach den Mann an. Er war jung, jünger als der ihre gewesen war. Sie sagte: „Ich wollte Ihnen sagen, dass dieser Anzug einmal meinem Mann gehört hat. Er ist gestorben.“ „Und?“, fragte der Mann. „Tut es Ihnen leid um den Anzug, bin ich seiner nicht wert?“ Die Frau wurde sehr verlegen und sagte: „Im Gegenteil. Sie füllen ihn vornehmer aus, als ihn mein Mann je hätte ausfüllen können. Ihre Figur passt perfekt in ihn.“
„Es gab eine Bestattung mit seiner Asche. Asche, dachte sie, ist, als hätte er, wie er war, nie existiert.“
„Dann ist es gut“, sagte der Mann. „Die Knöpfe gefallen mir besonders, sie sind außergewöhnlich. Wenn ich genug Geld hätte, würde ich Sie zum Essen einladen.“
„Ich mache eine gute Suppe“, sagte die Frau, „ich bin bekannt für meine starken Suppen, schnell hole ich mir noch Suppenfleisch und Tafelspitz, dann bereite ich noch die großen Grießknödel zu. Wenn wir das gegessen haben, werden wir glücklich sein.“
„Danke“, sagte der Mann „ich nehme gerne an.“
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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