Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

15 Sekunden Ruhm: Unverzichtbar für viele

Vorarlberg / 18.03.2024 • 15:00 Uhr

Wenn sich zwei Supermächte um eine Sozial-Media-Machtbastion streiten: Das US-Repräsentantenhaus will die zum chinesischen Konzern Bytedance gehörende Social-Media-Plattform TikTok auf dem amerikanischen Markt verbieten – wegen des Verdachts, dass Bytedance Nutzerdaten an Regierungsstellen in Peking weitergeben würde. Falls das Verbot tatsächlich beschossen wird, müsste der chinesische Eigentümer das US-Geschäft an amerikanische Investoren verkaufen, um dort am Markt zu bleiben. Am Beispiel von TikTok lassen sich jene Phänomene gut ablesen, mit denen Social Media heute unsere Gesellschaften mitprägen – beginnend mit der Angetriebenheit.

Wer ein Social-Media-Geschäftsmodell auf diesem fragilen Fundament aufbaut, muss mit Verlusten rechnen.

Derzeit nutzen mehr als eine Milliarde Menschen weltweit die App, bei der sich alles um Kurzvideos dreht, von 15 Sekunden bis drei Minuten Länge: 15 Sekunden Ruhm, auf die viele nicht mehr verzichten wollen. Vor allem Jüngere filmen sich hier beim Singen oder Tanzen, erzählen über ihr Leben oder lassen sich von der Flut an Musikclips berieseln; aber sie informieren sich hier auch über Politik – besser gesagt: man kann junge Menschen auf dieser Plattform leider mit Propaganda und Desinformation beeinflussen. TikTok ist der Inbegriff der digitalen Häppchenkultur und befeuert die Beschleunigung der Welt – der Algorithmus entscheidet noch stärker als bei anderen Social-Media-Anbietern mit, welche Kurzvideos man zu sehen bekommt.

Die Abhängigen

Der ständige, schnelle Kick kann zur Abhängigkeit führen: Große Gefühle mischen sich mit knapper Information, gerade für junge Menschen besteht bei TikTok Suchtgefahr. Aber auch viele andere sind von den Digitalplattformen abhängig. Sie investieren viel Zeit und kreative Energie in ihre Profile oder bauen sich nach dem Regelwerk des jeweiligen Konzerns ihr Geschäftsmodell auf. Die ungleiche Beziehung führt zu einem Machtgefälle zwischen den Plattformen und jenen, die ihre Dienste nutzen. Der Preis dafür ist hoch, denn die Nutzungsbedingungen können jederzeit geändert werden. Im Fall von TikTok fühlen sich nun etwa Influencer und Influencerinnen von dem Tempo überrollt, mit dem der Kongress die Plattform in den USA einschränken möchte und mobilisieren ihre Communitys. Wer ein Social-Media-Geschäftsmodell auf diesem fragilen Fundament aufbaut, muss mit Verlusten rechnen.

Die Erkenntnis der eigenen Abhängigkeit und Ohnmacht führt nun bei immer mehr Menschen zu einem Gefühl von Überdruss und einer gewissen Nachdenklichkeit: Wie können wir unsere Gesellschaften und Demokratien vor den negativen Einflüssen der Plattformen bewahren? Diese Debatte werden wir ernsthaft führen müssen, denn eines ist sicher: Eine Welt ohne Social Media wird es wohl nicht mehr geben.

Julia Ortner
julia.ortner@vn.at
Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.