Strafmündigkeit
Einmal mehr wird in Österreich vorexerziert, wie man eine längst überfällige Diskussion, jene über die Adaptierung der Strafmündigkeit, im Keim ersticken will. Mit der Verengung der Argumentation auf das ohnehin von niemandem gewollte Einsperren von Kindern werden alle vernünftigen Überlegungen zu einem immer brisanteren Problem abgewürgt.
Worum geht es? Nicht um das Strafen von Kindern, sondern um Überlegungen, wie der Staat pädagogische und therapeutische Maßnahmen bei einer spezielle Hilfe benötigenden, aber stets größer werdenden Tätergruppe durchsetzen kann. Nicht durch wegschauen, sondern durch besondere Weisungsmöglichkeiten. Da ist zunächst das Problem der sogenannten Akzeleration zu bedenken. Durch die früher auftretende körperliche und psychische Entwicklung erfolgt der Eintritt in die Pubertät, die erste Risikophase für kriminelles Verhalten, gut zwei Jahre früher als zur Zeit, in der die aktuelle Strafmündigkeitsgrenze festgelegt wurde. Die monoton vorgebrachten Argumente, Kriminalität von unter 14-Jährigen sei selten und deren Gehirn nicht voll reif, könnte bei vielen potentiellen Tätergruppen eingebracht werden. Auch bei den über 70-Jährigen ist Kriminalität nicht häufig. Auch deren Gehirn befindet sich nicht (mehr) auf dem Reifungshöhepunkt und Einsperren wird auch da nicht viel bringen. Und wer würde bei psychisch kranken Straftätern, die nicht einmal schuldfähig sind, dem Staat die Pflicht absprechen, zum Schutz der Bevölkerung therapeutische Maßnahmen durchzusetzen?
„Allerdings müssen, bevor die Strafmündigkeit an die Realität angepasst wird, therapeutische Strukturen für die spezielle Tätergruppe der 12 bis 14-Jährigen geschaffen werden.“
Eigenartigerweise wird in dieser Diskussion der Opferaspekt weitgehend übergangen. Eine 85-jährige Frau, die seit ihrem durch Handtaschenentreißen erlittenen Sturz für immer ans Bett gefesselt bleibt, hat mir nach dem Hinweis auf das Unmündigkeitsalter des Täters geantwortete: „Meine Schmerzen sind deswegen um Nichts geringer“.
Allerdings müssen, bevor die Strafmündigkeit an die Realität angepasst wird, therapeutische Strukturen für die spezielle Tätergruppe der 12 bis 14-Jährigen geschaffen werden. Nicht zusätzliche Gefängnisplätze, sondern moderne pädagogische und psychotherapeutische Einrichtungen mit hochqualifiziertem Personal. Somit also Voraussetzungen, dass die in der Erziehung oft vernachlässigten kindlichen Täter lernen können, sich in die Opfer hineinzufühlen, Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen und die Konsequenzen zu bedenken. Das wird einiges kosten, was uns die delinquent gewordenen Kinder und der Schutz der Bevölkerung aber wert sein sollten.
Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.
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