In Kriegszeiten waren sie Kinder

Nach mühsamen Behördenwegen schaffte es Milka, Saša nach Vorarlberg zu folgen.
ALBERSCHWENDE Der Gastraum ist leer. Das Café Restaurant Linde hat Ruhetag. „Milka kommt gleich. Sie ist noch drüben bei den Kindern“, informiert der Inhaber Saša Telić. Mit „drüben“ meint er die ein paar Schritte von der Linde entfernte Wohnung seiner Familie. Da eilt sie auch schon herbei, seine Frau, und lässt sich auf einen Stuhl fallen. Saša stellt Kaffee und Wasser auf den Tisch. Dann erzählt das bosnisch-serbische Ehepaar, warum es in Vorarlberg gelandet ist und wie sich das Leben anfühlt in einem Land, in dem alles so anders ist.

Kriegserinnerungen
Als Saša am 30. Juli 1984 in Banja Luka zur Welt kommt, ist die Stadt noch Teil Jugoslawiens. 1991 bricht der Jugoslawienkrieg in Slowenien und Kroatien aus. Im Jahr darauf weitet er sich auf Bosnien aus. So wächst Saša mit einem jüngeren Bruder und einer noch jüngeren Schwester als Kriegskind auf. Die riesigen, schweren Panzer, die einheimischen Soldaten, die in Banja Luka stationierten UN- und später Nato-Truppen sind Saša im Gedächtnis geblieben. Er erinnert sich auch an das Matratzenlager und die Wasservorräte im Keller seines Elternhauses: „Wir wussten ja nicht, ob wir bombardiert werden.“ Angst habe er nicht gehabt, „aber ich hoffte immer, dass alles bald vorüber ist.“
Ende 1995 – Saša ist elf Jahre alt – endet der Bosnien-Krieg, und das Land wird in die Föderation Bosnien-Herzegowina und die Republika Srpska (Bosnisch-Serbische Republik) aufgeteilt. Banja Luka liegt in der Republika Srpska.
Nach der Mittelschule entscheidet sich Saša für eine Ausbildung in der Tourismusschule, Fachrichtung Koch und Kellner. Zusätzlich lernt er Hotel- und Gastgewerbe-Management. Nach dem Abschluss arbeitet er im Casino von Banja Luka. Acht oder neun Jahre. So genau weiß er das nicht mehr. „Dann bin ich hierhergekommen.“ Und das, obwohl er eigentlich nicht vorhatte, Bosnien zu verlassen. „Ich verdiente gut im Casino und habe ein Haus gebaut. Es ging mir gut.“ Seine damalige Ehefrau bringt den damals 24-Jährigen letztendlich dazu, mit ihr nach Vorarlberg zu ziehen.

Die Ehe zerbricht nach kurzer Zeit. Heimkehren kommt für Saša nicht infrage. Er bleibt. Zunächst findet er Arbeit in einem Hotel in Reuthe. Zwischendurch nimmt er einen Job bei einem Catering-Service in der Schweiz an. Dann führt er in den Sommersaisons das Schwimmbad Bezau. Im Winter ist er Bar-Chef in einem Mellauer Hotel.
2013 reist Saša wieder einmal nach Banja Luka. Als er sich mit Freunden in einer Café-Bar trifft, serviert Milka den Espresso. „Ich habe mich sofort in sie verliebt“, gesteht er. „Aber es war nicht einfach, zwischen Bosnien und Vorarlberg eine Beziehung aufzubauen.“ Lange habe er gewartet, „bis wir endlich zusammengekommen sind“.

Kein leichter Weg
Milkas Leben beginnt am 2. September 1990 in Bronzani Majdan, einer kleinen Ortschaft, etwa 25 Kilometer westlich von Banja Luka. Auch Milka, die keine Geschwister hat, ist ein Kriegskind, aber zu klein, um die Kriegswirren wahrzunehmen.
Auch sie absolviert die Tourismusschule in Banja Luka. Nach der Ausbildung jobbt sie in jener Café-Bar, in der sie, 23-jährig, Saša kennenlernt. „Bei unserem ersten Date hat er mir einen großen Sack mit Süßigkeiten geschenkt“, weiß Milka noch. Drei Monate später besucht sie ihn in Reuthe, wo Saša zu jenem Zeitpunkt arbeitet und wohnt.
Eineinhalb weitere Jahre vergehen, bis Milka so weit ist, Saša definitiv nach Vorarlberg zu folgen. Damit beginnt ein Marathon an Behördengängen: „Wir mussten unzählige Dokumente besorgen, auch Sicherheitsgarantien.“ Ziemlich mühsam sei das alles gewesen: „Immer hat irgendetwas gefehlt oder war ungültig und musste nachgereicht werden.“

Ende 2015 bekommt Milka endlich ihr Visum, da sind sie und Saša bereits acht Monate verheiratet. Milka lernt Deutsch in Wifi-Kursen – „das war wahnsinnig schwierig!“ – und wird in Gastbetrieben im Bregenzerwald beschäftigt.
2017 kommt Sohn Filip zur Welt, Leo ist 2022 da. „Mit meinem Mann und den Kindern fühle ich mich hier nun richtig zu Hause“, sagt Milka. Heimweh? „Nein. Ich habe niemanden mehr in Bosnien.“
Saša hat im vergangenen Oktober „Caesars Café“ am Dorfplatz von Alberschwende übernommen. Das Lokal wurde umgebaut und unter dem neuen Namen „Café Restaurant Linde“ am 1. November eröffnet. Damit hat sich Saša nun seinen Traum vom eigenen Gastbetrieb erfüllt.
Auch er kennt kein Heimweh. „Allerdings“, räumt er ein, „bin ich sowohl in Vorarlberg als auch in Bosnien ein Fremder. Hier bin ich einer, der gekommen ist, dort einer, der gegangen ist.“