Meine Meinung
Wenn wir unsere Kinder in Wien besuchen, die schon lange keine Kinder mehr sind, dann kommt irgendwann der Moment, wo meine Tochter und ich auf ihrem riesigen Sofa sitzen und wir uns gegenseitig die Welt erklären. Oder unsere Unfähigkeit eingestehen, diese Welt zu erklären.
Das hier ist ja eine Kolumne, also ein „Meinungsartikel“, der sich eindeutig von dem abhebt, was eine Zeitung sonst so tut, oder tun soll, nämlich berichten. Leider fehlt es inzwischen an allen Ecken und Enden an Geld dafür, noch Leute recherchieren zu lassen. Deswegen lesen wir in der Zeitung immer häufiger das, was irgendjemand berichtet haben will. Und nicht das, was sich dahinter verbirgt. Manche nennen das message control. Aber eigentlich ist es das um sich greifende Desinteresse der Leserinnen und Leser, noch mehr zu erfahren, als sie eh schon zu wissen glauben.
„‚Das ist meine Meinung‘ klingt immer häufiger wie eine Tatsachenbehauptung. Ende der Diskussion!“
Aber jetzt berichte ich mal, worüber meine Tochter und ich uns unterhalten haben. Nämlich über „Meinungen“. Genauer: wir haben festgestellt, wie unheimlich es uns beiden ist, dass immer mehr Menschen inzwischen den Stehsatz „das ist meine Meinung“ vor sich hertragen wie einen geladenen Revolver. In der Schule, an der unsere Tochter unterrichtet, genauso wie im Museumscafe oder in den unsozialen Medien.
„Das ist meine Meinung“ klingt da nämlich immer häufiger wie eine Tatsachenbehauptung. „Ende der Diskussion!“ Nur dass es nicht um „Tatsachen“ geht, sondern um irgendeine Interpretation der Wirklichkeit, die man auf keinen Fall in Frage gestellt sehen möchte. Schließlich hat ja jeder ein Recht auf Meinungsfreiheit. Und das ist ein hohes Gut.
Aber dass eine Meinung zugleich vor kritischen Rückfragen schützt, ist doch ein neues Missverständnis dieses Grundrechts. Am Ende dient eine „Meinung“ jetzt eher dazu, jedes Gespräch zu verhindern – jede echte Kommunikation zu beenden, in der man vielleicht nach dem suchen würde, was man teilen könnte, also so etwas wie Realität. So wie sich in vielen Zeitung Berichterstattung und Reklame nicht mehr unterscheiden lassen, so gibt es heute nur noch Meinungen. Und recht hat am Ende wahrscheinlich der Stärkere.
Hat das damit zu tun, dass immer mehr Leute auf ihrer „Identität“ beharren? Also einer Existenz in einer Blase, in der man nur noch bestätigt bekommt, was man sehen will? Die Rechten nennen so was „Leitkultur“. Leute, die sich für „links“ halten, hantieren mit komplizierteren, „identitätspolitischen“ Begriffen. Und am Ende kommt das gleiche dabei heraus. Aber natürlich ist das nur meine Meinung. Ist ja eine Kolumne hier.
Hanno Loewy ist Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems.
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