Die Durchschnittlichen
„Ich rate dir, mein Lieber, such dir ein gewöhnliches Mädchen, du wirst kaum Probleme haben. Mit allen anderen, die sich für besser halten, wirst du es schwer haben.“
„Da blieb der Neffe schlussendlich ein Junggeselle wie sein Onkel.“
Das sagte der Onkel zu seinem Neffen, der auf der Suche nach einer Frau war. Er verehrte seinen Onkel, wollte einmal so lässig werden wie er. Er suchte seinen Rat.
„Also du rätst mir zu einer gewöhnliche Freu?“, fragte der Neffe.
„Eine Durchschnittliche ist eine Gewöhnliche“, sagte der Onkel, „das sind die Bescheidenen, die dir nicht auf der Tasche liegen, die nicht fremd gehen und froh sind, dass sie dich haben. Unterschätze sie nicht. Das wirst du erst mit zunehmendem Alter zu würdigen wissen. Sie werden dich pflegen, wenn du krank bist.“
„Wie weiß ich, ob sie mich liebt?“, fragte der Neffe.
„Sie weiß es selbst nicht. Du wirst in einer sternenklaren Nacht um ihre Hand anhalten, und sie wird Schicksal dazu sagen.“
„Sind das deine Erfahrungen?“, fragte der Neffe.
„Erfahrungen, durch die ich klug geworden bin. Nach meiner Scheidung – ich weiß nicht, ob du dich noch an Alma erinnern kannst –, sie war mein Fehlgriff, hat mich unglücklich gemacht und viel Geld gekostet, da habe ich mir keine Bindung mehr zugetraut, und jetzt will ich dir die guten Ratschläge geben, die ich selber dringend gebraucht hätte.“
„Danke für den Tipp“, sagte der Neffe. „Ich werde es mir zu Herzen nehmen.“
Am Abend sah man ihn mit einer Schönheit tanzen, er gab das Geld seines Vaters aus und versuchte, der Frau das Versprechen abzunehmen, dass sie sich morgen wieder sehen, aber es kam anders. Der schönen Frau war der junge Mann zu durchschnittlich. Zu gewöhnlich.
Dann in den folgenden Wochen erinnerte er sich an das Gespräch mit seinem Onkel, und wenn er auf den Straßen ging, hielt er Ausschau nach unscheinbaren Frauen. An einer Pommes-Bude verteilte er übermütig Komplimente, auf die nichts folgte, und fiel er abends dann ins Bett, überlegte er sich auszuwandern. In ein südliches Land, in dem sich die Emanzipation noch nicht durchgesetzt hatte. Oder sollte er sich aus einem Katalog eine Thailänderin bestellen? Davon riet ihm sein Onkel heftig ab.
„Wenn du bei uns keine findest, bleib allein, wie ich es bin“, sagte er.
Da blieb der Neffe schlussendlich ein Junggeselle wie sein Onkel. Er wurde das, was sich unter dem aus der Mode gekommenen Wort „Hagestolz“ verbirgt. Auf seinem Wohnzimmertisch stand eine Obstschale, die er jede Woche neu auffüllte, nie davon aß und sie erneuerte, wenn die Früchte faulig rochen.
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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