Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Mitleid mit den Dingen

Vorarlberg / 16.07.2024 • 16:15 Uhr

Was haben sie nur mit dem alten Sofa gemacht? Wenn sie nur kurz nachgedacht hätten, wäre es verschont geblieben. Wenn sie überlegt hätten, was dieses Sofa schon alles erlebt hat, wie viele Menschen sich darauf geliebt und gestritten hatten, auf dem Plüschsofa mit den Lampions.

Kann nur wichtig sein, was lebendig ist? Das fragte ich mich. Kann man Dingen nicht nachweinen?“

Meine Mutter zum Beispiel ist nach meiner Geburt darauf gelegen, weil sie es da spannender fand als in ihrem Bett. Ihren Leuten sah sie beim Verrichten der Dinge zu. Sie blieben vor ihr stehen und bewunderten den Säugling, der ich war, sie sagten, sie sieht ihrer Großmutter ähnlich, aber das kann sich noch ändern, vielleicht wird sie ja hässlich wie die Patentante. Die Mutter auf dem Sofa sah dem Vater zu, wie er ungewohnt hilflos nach den richtigen Gewürzen fragte. Die Mutter antwortet vom Sofa her. Ich glaube, sie genoss es, nichts tun zu müssen. Ich, der Säugling, lag auf ihrer Brust, und da war es warm, gewohnt und gemütlich. Ich lag auf ihrer Brust, aber gleichzeitig lag ich auch auf dem Sofa, das es jetzt nicht mehr bei uns gibt. Hat man es mit einem Beil zerhackt? Hat man es ins Feuer geworfen, um damit ein Zimmer zu heizen? Wurde das Sofa in eine Halle mit abgedienten Dingen gestellt, war ein Preisschild auf der Lehne angebracht?

Mit viel zu wenig Geld ausgeschrieben, lächerlich wenig für eine altgediente Dame, wenn man bedenkt, wem dieses Sofa schon gedient hatte. Niemand hatte Mitleid mit dem Sofa. Einmal habe ich meine Mutter gefragt, da war ich schon ein Schulkind: „Kann es sein, Mama, dass wir einmal ein Sofa gehabt haben, auf dem Lampions waren?“
„Ach“, sagte meine Mutter, „das alte Sofa, schade darum!“
„Aber“, fragte ich weiter, „warum habt ihr das Sofa weggegeben?“
Die Mutter wusste es nicht. Alles andere war damals wichtig gewesen.
„Hast du denn kein Mitleid mit dem Sofa, hast du dich nie gefragt, wie das Leben für das Sofa weitergegangen ist?“
Sie tröstete mich, sagte ich sei eine Träumerin, sie wünsche sich, dass es mir gelänge, irgendwann Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.

Kann nur wichtig sein, was lebendig ist? Das fragte ich mich. Kann man Dingen nicht nachweinen?
Jedenfalls, um meine Spinnerei abzubrechen sagte meine Mutter, ich soll die Kehrschaufel holen und den Dreck wegmachen, den ich mit meinen Bergschuhen hinterlassen habe.

Als Erwachsene war ich auf der Suche nach einem ähnlichen Sofa, ich fand einige, dachte mir dann aber, es wäre eine Beleidigung für das Lampionsofa, durch ein Samtsofa mit Punkten ersetzt zu werden. Ich habe in einem Möbelgeschäft ein hübsches Sofa gekauft, das keine Verwandtschaft mit meiner Sehnsucht aufweist.

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.