Tanz-Events statt Jakobsweg

Vorarlberg / 22.07.2024 • 08:30 Uhr
Gekommen und geblieben
Barbara Bayer neben Fotos von ihrem tödlich verunglückten Sohn: „Er war so ein hübscher und lebensfroher Mensch.“ HRJ

Trotz harter Prüfungen hat Barbara Bayer ihren Optimismus nie verloren. Nun organisiert sie ein Tanzspektakel am See.

BREGENZ 26. Juli 2023 am Kornmarktplatz in Bregenz. Trotz Regen und nur 16 Grad treffen immer mehr Menschen ein. Frauen, Männer, Kinder. Punkt 12 Uhr mittags geht es los. Aus großen Lautsprechern schallt der Song „The Wanderer“, und alle fangen an zu tanzen. Es folgen „Achy Breaky Heart“ und ein griechischer Sirtaki. Dann ist alles vorbei. Und jeder geht seiner Wege.

Den Flashmob hat Barbara Bayer organisiert. Nachdem sich die 79-jährige leidenschaftliche Line-Dance-Tänzerin im Internet öfters Flashmobs angeschaut hatte, wollte sie selbst einen veranstalten. So kam zu dem spontanen Tanztreffen vor einem Jahr, dem Barbara das Motto gab: „Die Einen gehen den Jakobsweg, ich mache einen Flashmob.“

Gekommen und geblieben
Die neue Bluse wird Barbara am kommenden Samstag beim Tanzspektakel am See tragen. HRJ

Menschen pilgern zum Beispiel auf dem Jakobsweg, um Schicksalsschläge zu verkraften. Das ist jedoch nicht Barbaras Ding. Sie hat ihre harten Lebensprüfungen immer auf ihre Art bewältigt. Die erste musste sie bestehen, als sie noch ein Kind war und noch in Deutschland gelebt hat.

Barbaras Leben beginnt am 1. Mai 1945 in Gailingen, eine heute knapp 3000-Einwohner-Gemeinde in Baden-Württemberg. Barbara ist sieben, da stirbt die Mutter. Ein schwerer Verlust für das Mädchen, das von einer Tante aufgenommen wird. Ihre beiden Schwestern kommen bei anderen Verwandten unter. Im selben Jahr heiratet der Vater erneut und holt seine drei Töchter zu sich nach Weil am Rhein. Dort wohnt er mit seiner neuen Frau.

Gekommen und geblieben
Die 79-jährige Pensionistin bewältigt ihre Schicksalsschläge auf ihre eigene Art. HRJ

Nach der Volks- und Hauptschule absolviert Barbara eine Schneidereilehre. In Kursen erlernt sie Stenographie und Maschineschreiben und wird in der Folge in Unternehmen als Bürokraft eingestellt.

Im Februar 1975 begegnet sie während eines Skiurlaubs in Damüls dem Bregenzer Peter Bayer. „Drei Monate später, im Mai, haben wir geheiratet“, erzählt Barbara. „Im Juli zog ich zu ihm nach Bregenz.“ Arbeit findet sie in zwei Firmen, später im städtischen Sozialamt. Dort bleibt sie bis zur Pensionierung.
1981 wird Sohn Manuel geboren. Zwei Jahre später trennt sich das Ehepaar Bayer. „Ich bin trotzdem in Bregenz geblieben und lebe seitdem allein in meiner Wohnung.“

1988 wird Barbara vom nächsten Schicksalsschlag getroffen. Mit voller Wucht. Ihr erster Sohn aus einer früheren Beziehung kommt bei einem Autounfall ums Leben. „Er wurde nur 22 Jahre alt“, sagt Barbara und kämpft mit den Tränen. Die Erinnerung an diese schreckliche Zeit schmerzt noch immer. „Als ich zu ihm ins Spital kam, lebte er noch, war aber nicht mehr ansprechbar.“ Er sei hirntot und werde nicht mehr aufwachen, habe man ihr klargemacht, aber seine gesunden Organe könnten andere Menschenleben retten. „Ich habe der Organentnahme zugestimmt.“

Gekommen und geblieben
Barbara Bayer hat sich neue Tanzschuhe besorgt. Die alten waren schon gehörig ausgeleiert. HRJ

Vor vier Jahren erhält Barbara mit der Diagnose Morbus Parkinson die nächste Hiobsbotschaft. „Als meine rechte Hand zu zittern begann, habe ich selbst bemerkt, dass etwas mit mir nicht stimmt“, erinnert sie sich. Die medikamentöse Behandlung lindert die Beschwerden dieser Erkrankung des Nervensystems. Zusätzlich nimmt sie einmal wöchentlich die neurologische Reha beim AKS in Anspruch. „Das hilft mir sehr“, betont sie.

Am 9. Dezember 2021 passiert wieder ein Unglück. Barbara Bayer hat drei Freundinnen zum Fondue-Essen eingeladen. Beim Anzünden des Gasbrenners entsteht eine Stichflamme, die einen Wohnungsbrand auslöst. Eine der Freundinnen bleibt unverletzt, zwei werden leichtverletzt. Die Gastgeberin hingegen erleidet schwere Brandwunden. Die Folgen sind Hauttransplantationen und ein langer Spitalsaufenthalt. „Bei einer Visite meinte ein Arzt zu mir, ich hätte ein kostenloses Lifting bekommen“, erzählt Barbara und lacht.

Den Humor, aber auch ihren Optimismus und ihren Tatendrang hat sie trotz der Schicksalsschläge nicht verloren. Mit dieser positiven Einstellung geht sie längst wieder ihren Beschäftigungen nach, etwa als Kassierin und Schriftführerin der 1945-er Jahrgänger sowie als Sängerin in zwei Kirchenchören. Des Weiteren hat sie sich entschieden, auch in diesem Sommer wieder eine Tanzaktion zu starten. „Man weiß ja nie, wie lange man so etwas machen kann“, sinniert die Seniorin, die durch schmerzliche Erfahrungen gelernt hat, wie schnell sich das Leben ändern kann, „Diesmal ist es kein Flashmob auf dem Kornmarktplatz, sondern ein Benefiz-Tanzspektakel am See“, informiert sie. „Das Tanzprogramm ist das gleiche wie letztes Jahr. Doch diesmal gibt es eine Moderation, eine Ansprache und ein Überraschungsprogramm.“ Der Erlös der Veranstaltung, die am Samstag, dem 27. Juli ab 13 Uhr auf dem Platz der Menschenrechte stattfindet, geht an die aks Neurologische Reha für Parkinson-Therapie.

Heimweh nach Deutschland? Nein, das hat Barbara Bayer nie: „Ich bin nun Vorarlbergerin, Bregenzerin, und ich fühle mich auch so.“