Die perfekte heile Familie
Auf YouTube stieß ich auf einen Kurzfilm, der mich interessierte, unter anderem weil er gerade so viele Preise abräumt. Jonas Steinackers „Nellys Story“ handelt von einer Mutter, die das Leben ihrer kleinen Tochter auf Instagram inszeniert. Früher sagte man Influenzerin, jetzt heißt es Content Creator.
„Eine Rückkehr zu einem Frauenbild aus den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, eine Phantasie konservativer Männer.“
Die Inhalte, die die Frau in dem Film gestaltet, sind Videos ihrer Familie, die leider, wie man gleich ahnt, nicht so heil ist, wie sie es gerne hätte oder wie sie es brauchen würde, um mit ihrem Insta-Kanal Erfolg zu haben und Geld zu verdienen.
Die heile Familie ist ein großes Ding in sozialen Medien, mit zwei gewaltigen Haken. Erstens weil dabei, und das ist auch das Thema von „Nellys Story“ immer auch Kinder ungefragt in eine Öffentlichkeit gezerrt werden, die weder sie, noch ihre Eltern kontrollieren können: Wer sieht sich das an und mit welchen Motiven? Was passiert mit diesen ins Netz gestellten Filmen, mit den Bildern dieser Kinder? Das ist eine Frage, die diskutiert wird, seit es soziale Medien gibt, und die im Zeitalter künstlicher Intelligenz noch viel relevanter geworden. Denn was KI aus einem harmlosen Video zu machen imstande ist, weiß mittlerweile jeder, und jede hat schon festgestellt, dass ein echter Film von einem KI-generierten nicht mehr zu unterscheiden ist. Das sollten alle Eltern bedenken, die Bilder ihrer Kinder ins Netz stellen, Urlaubsfilmchen oder Geburtstagsvideos wie in „Nellys Story“.
Der zweite Haken der perfekten Familie auf Instagram ist eine neue Glorifizierung der traditionellen Hausfrau, die ihr ganzes Dasein ausschließlich in den Dienst und das Wohlbefinden ihres Mannes und ihrer Kinder stellt. Eine Rückkehr zu einem Frauenbild aus den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, eine Phantasie konservativer Männer.
Ja, wenn eine Frau in dieser Rolle aufgehen will, ist es natürlich eine persönliche Entscheidung. Aber wir sehen jeden Tag, was derartige ökonomische Abhängigkeit von Frauen bewirkt, wenn nicht alles gut geht: nach einer Trennung, im Alter, wenn die Frauen plötzlich allein und finanziell auf sich selber gestellt sind.
Wie diese Trad-Wifes – traditionelle Gattinnen – sich derzeit im Netz präsentieren, wenn sie von früh bis für ihren Mann und ihre fünf bis acht Kinder kochen und backen und dabei, um ihren Gatten nicht zu verstören, stets wie aus dem Ei gepellt sind, ist natürlich inszeniert: sehr oft von ganzen Medienteams im Hintergrund, weil mit solchen von Millionen gefolgten Accounts sehr viel Geld zu machen ist. Und das geht nicht ohne Videos von vermeintlich glücklichen Kindern: Kinder die niemand gefragt hat, ob sie wollen, dass Fremde ihnen beim Aufwachsen zuschauen.
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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